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dieses einzigen und ewigen Gottesgnadentums zu wahren – was haben sie getan? Sie haben sich zu Söldlingen der Macht hergegeben, sie haben sich ihre Ziele von denen setzen lassen, denen sie sie hätten weisen müssen, sie haben sich verkauft und haben geglaubt, den Forderungen des Geistes Genüge zu tun, wenn sie auf ihren Einzelgebieten gute oder selbst hervorragende Sonderleistungen zuwege brachten, die ihnen als „Fortschritte“ der Wissenschaften, der Künste, der Technik erschienen und die in Wirklichkeit doch nur dazu dienten, die Sicherheit der herrschenden Macht zu festigen. Was ist aus unsren Universitäten geworden? Gewiß, wir haben einige ausgezeichnete Fachgelehrte an ihnen – aber wo sind die Persönlichkeiten, die, über ihr Lehramt hinauswirkend, den Beruf zu geistigen Führern erwiesen, ihn auch nur angestrebt haben? Und was ist das Ergebnis? Eine Unzahl von gelehrten Beamten, auf staatliche Berufe mit genau umgrenzten Wirkungskreis hin abgerichtet, kluge Leute, die ihr Fach ausgezeichnet verstehen, denen wir auf wissenschaftlichen Einzelgebieten manche grundlegende Entdeckung verdanken und denen eben doch das Beste und Wichtigste fehlt: die Erkenntnis nämlich, daß alle ihre Kenntnisse, all ihr Entdeckungseifer Eigenschaften von untergeordnetem Werte sind, solange ihr Menschentum kulturpolitisch kastriert ist, solange sie nur willenlose, des eigenen geistigen Schöpfertriebes ermangelnde Lohnsklaven einer kritiklos oder doch nur unter heimlichem Protest hingenommenen ungeistigen Macht sind. Stand es etwa um unsre Schulen besser, in denen bei Kriegsausbruch „Nun danket alle Gott“ gesungen und noch 1918 der Sedantag gefeiert wurde? Gewiß, wir und unsre Kinder sind gut unterrichtet worden, so weit die Mechanik des Wissens in Betracht kam. In allem aber, was darüber hinausging, haben unsre Schulen nicht nur völlig versagt, sondern geradezu planmäßig verheerend gewirkt. Sie haben das Geistige zum Diener des Nützlichen gemacht, und dieses Nützliche galt ihnen gleichbedeutend mit dem Gegebenen, Herrschenden. Die Idee einer Pflege des Geistes um des Geistes willen war ihnen fremd und unfaßlich – sie hätte zum Aufruhr gegen alles Bestehende führen müssen. So wurde uns die Idee einer Bildung als Kulturpflege ein fremder Begriff und es triumphierte die Bildung als Broterwerb und Mittel zur gesellschaftlichen Geltung. Wir waren stolz auf den niedrigen Prozentsatz der Analphabeten im deutschen Volk – aber haben wir dadurch, daß wir Lesen, Schreiben, Rechnen lernten, wirklich an Bildung gewonnen? Haben wir nicht die geistigen Güter nur dazu benutzt, Geld daraus zu machen? Kein besseres Zeichen für den tiefen Bildungsstand des deutschen Volkes als der Riesenerfolg von Chamberlains „Kriegsaufsätzen“ – einem Literaturprodukt, das, ganz abgesehen vom Sachlichen des Inhaltes eine derart minderwertige, wahrhaft kindisch unbeholfene Einstellung zu den Problemen der Weltgeschichte zeigt, daß ein kulturbewußtes Volk solche Erzeugnisse als nicht diskussionsreif instinktiv hätte ablehnen müssen. Bei uns sind sie in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet und gelesen worden – nicht etwa auf der Gasse, sondern in den „gebildeten“ Kreisen. Wohin wir blicken, sehen wir völliges Versagen des Qualitätsbewußtseins – nicht nur in den unteren Schichten, sondern gerade bei den Intellektuellen, bei denen, die berufen gewesen wären, mit den feinen Organen des geschärften Geistes. mit der Ahnungsgabe prophetischer Kraft über den wurmstichigen Glanz der historisch gegebenen Macht hinweg das Neue, Notwendige zu erwittern, ihm den Boden zu bereiten.

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Paul Bekker: Politik und geistige Arbeit (Bekker). Tiedemann & Uzielli, Frankfurt am Main 1918, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Politik_und_geistige_Arbeit_Seite_5.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)