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lauter Genies bestünde, ist positiver Handlungen nicht fähig, sie kann nur zerstören, nicht ausbauen. Immer, beim Bolschewismus, wie beim Absolutismus, ist es die Lösung des Führerproblems, von der alles abhängt. Das Gelingen dieser Lösung ist an zwei Voraussetzungen gebunden: Es müssen geeignete Führerpersönlichkeiten vorhanden sein und es müssen die, denen die Auswahl obliegt, fähig sein, Entscheidungen zu treffen: Führerqualitäten zu erkennen. Die Wahlmethode ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Sie wechselt mit den Zeiten und Menschen und müßte, der Idee nach, sich in natürlicher, zwangloser Parallele den Veränderungen der menschlichen Denk- und Lebensweise organisch anpassen. Trägheit und Beharrungsvermögen auf der einen, Machtfreude und Starrsinn auf der andren Seite bringen es mit sich, daß dieses stetige Wachstum sich nicht in gleichmäßiger Entwicklung vollzieht, sondern, nach jeweiliger Anstauung und künstlicher Zurückdämmung der Kräfte, in ruckweisen Gewaltstößen. Die Gefahr dieser Entwicklungsart liegt darin, daß man über dem augenblicklichen Zweck solches Gewaltstoßes das Ziel vergißt, dem er dienen soll und damit die inneren Vorausetzungen mißachtet, an die sein dauerndes Gelingen gebunden bleibt. Das Ziel ist nicht Veränderung der Wahlart, sondern des Wahlresultates. Es liegt im Wesen des politischen Tagesstreites, daß er, jemehr er sich zuspitzt, ein Kampf um die Mittel wird, statt Kampf um den Zweck zu sein. Und so sicher die Mittel nötig sind, um den Zweck zu erreichen, so sicher entwertet man sie, wenn man seiner vergißt. Dies ist die Gefahr aller revolutionären Bewegungen gewesen, es ist auch die der heutigen.

Der Sinn jeglichen menschlichen Gemeinschaftslebens ist Schaffung einer Kulturlebens, das will sagen eines Lebens, in dem die Kräfte aller einzelnen sich frei, ihrer Natur gemäß zum sinnvollen Ganzen ineinanderweben. Je ungehemmter dieser Zusammenfluß der Kräfte sich vollzieht, je klarer und zweckmäßiger die Verteilung der verschiedenen Posten geordnet, je gesünder der Gesamtorganismus ausgebaut ist, umso bedeutungsvoller und reiner die Ergebnisse. Die Richtlinien dieses Aufbaues zu bestimmen, die Mittel zu finden, die geeignet sind, alle vorhandenen Kräfte zu wecken, furchtbar zu machen und ihnen den für ihr Wirken bestgeeigneten Platz anzuweisen, ist Aufgabe der Kulturpolitik.

Jedes politische System muß daher im Grunde auf Kulturpolitik zielen. Da aber die Wirksamkeit der Politik zunächst an die Voraussetzung des Machtbesitzes gebunden und gerade dieser dauernden Angriffen von Reinen und Unreinen, Selbstsüchtigen und Ideologen ausgesetzt ist, bleibt das, was wir gemeinhin als Politik zu bezeichnen pflegen, meist unbefriedigende Halbheit. Wir haben uns längst daran gewöhnt, unter Politik nur den Kampf um die Macht zu verstehen, während sie in Wirklichkeit Fruchtbarmachung der Macht sein sollte. Kulturelle Wirkungen, die ihr Ziel sein müßten, übt diese Art Politik nur noch nebenher, sozusagen unbeabsichtigt und unverschuldet. Demgegenüber ist zu betonen, daß einzig in der Gewährleistung kultureller Forderungen die innere Rechtfertigung jeder Politik liegt. Politik nur um der Politik willen ist zwecklose Kräftevergeudung, gleichviel ob sie sich absolutistisch oder demokratisch gebärdet. Wenn der Sinn der jetzigen Umwälzung nur der wäre, an Stelle des einzelnen Machthabers den Machthaber Demos zu setzen, wenn sie also nur aus ein Spiel mit vertauschten Rollen hinausliefe, so wären wir übel daran. Wichtig ist daher, daß die neue Politik nicht erst wartet, bis sie den Kampf mit ihren Gegnern zu Ende geführt hat, um sich dann

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Paul Bekker: Politik und geistige Arbeit (Bekker). Tiedemann & Uzielli, Frankfurt am Main 1918, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Politik_und_geistige_Arbeit_Seite_3.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)