Seite:Bechstein Thüringische Volksmährchen 1823.pdf/42

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hundertmal ruft, sie hört, nicht; dahin, das fühlt er, ist Alles, was ihn beglücken konnte; doch – lacht ihm nicht eine Hoffnung noch rosig hell? ihr Ring. – Kaum hat er das gedacht, da sinkt der Ring schon in die Tiefe hinab; und es beginnt zu säußeln und zu flüstern in den Bäumen ein sanft verschwebender Ton, dem einer Aeolsharfe gleich, rührt an sein Ohr, das Wasser kräuselt sich in kleine Wellen und eine Stimme läßt sich also rein und klar, wie Silbertöne, singend vernehmen:

O Tannenwörth, Du hast getödtet
Ein Dir so treu ergebnes Herz;
Selindens Daseyn ist verödet,
Sie klagt den Blumen ihren Schmerz;
Wenn sich der Abend lieblich röthet,
Und Sterne funkeln niederwärts –
Dann denk’ ich Dein, der mich verließ,
Und träume mir ein Paradies.

Es steht im Schicksalbuch geschrieben,
Das seinen Spruch, ach streng vollzieht;
„In hundert Jahren darf ich lieben,
Nur Einmal, wenn die Rose blüht;
Ist der Geliebte treu geblieben,
Wohl ihm und mir, Selinde zieht
Dann ewig aus dem Schooß der Fluth“
Und lohnt ihm mit dem höchsten Gut.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringische Volksmährchen. Carl Fleck und Comp., Sondershausen 1823, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bechstein_Th%C3%BCringische_Volksm%C3%A4hrchen_1823.pdf/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)