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Oft schlich auch Ingomar zu der einsamen Quelle, um die liebliche Egil zu sehen, aber sie anzureden wagte er nicht, nur aus dem Gebüsche, hinter welches er sich zu verstecken pflegte, warf er reine Blicke auf die reine Jungfrau. Einst stand Egil zur gewohnten Stunde unter den heiligen Eichen, ihr blühendes Gesicht in die kleine Hand gestützt, und blickte nachdenkend in die helle Wasserfläche, da gewahrte sie, nahe der Eiche, unter welcher sie stand, in dem reinen Krystall, nicht ferne von ihr ein Bild, das in starken Zügen bald hervortrat, bald von dem bewegten Erlengebüsch überdeckt wurde. Jungfräulich verschämt blickte sie umher, und erschrocken, weil sie sich allein an dem Orte wähnte, und eine hohe Jünglingsgestalt, im goldnen Lockenhaar, trat ihr entgegen. Sie wollte fliehen, aber der Jüngling bat so süß, seine Stimme war so wohllautend, wie sie noch nie gehört hatte, er war so schön, und sein treues, blaues Auge sprach mehr noch, als sein Mund, seine Gefühle aus. Unsichtbar schwebte Siöna über ihnen, und weckte der ersten Jugendliebe wonnigliche Empfindungen in des Mädchens reinen Busen, in welchem Gesione, der Keuschheit züchtige

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Ludwig Bechstein: Thüringische Volksmährchen. Carl Fleck und Comp., Sondershausen 1823, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bechstein_Th%C3%BCringische_Volksm%C3%A4hrchen_1823.pdf/155&oldid=- (Version vom 31.7.2018)