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schöne Aussicht auf den reizenden Selgerbenschen See, der sich unten im Tale hinzog. Lohnend war ein Spaziergang zu den nahen Kolterbergen. Dort gab es noch einen Eichenwald, einen Teil von dem großen, der hier einst früher überall die Berge bedeckt haben soll.[1] Durch die romantischen, mit Laubwald bewachsenen Berge floß zwischen steilen Talwänden ein Bächlein zum Selgerbenschen See. Bei einem Gehöfte bildete es einen kleinen Fall, wo nach dem Regen das Wasser stark rauschte. An dem einen Ende des sich weit bis Livenhof hinziehenden Sees lag das Gut Selgerben. In der Mitte des Wasserspiegels befand sich dem Gutsgebäude gegenüber eine kleine mit Schilf und Gebüsch (auch Birken) dicht bewachsene Insel. Über ihre Entstehung hörte ich folgende Sage. Eines Tages habe der Teufel in einem Seitentale beim See geschlafen. Da habe er plötzlich die Glocke der Livenhöfschen katholischen Kirche läuten gehört. Dadurch sei er in die Flucht gejagt worden und nach den Kolterbergen entflohen. Als er über den See gelaufen, sei er gestrauchelt und habe sein Kissen, das er unter dem Arme getragen, fallen gelassen. Das sei nun diese kleine Insel. Auf den Kolterbergen habe er einen weitern Anlauf genommen, wobei er seine Fußspur in einem noch vorhandenen Steine zurückgelassen. Auf dem See, wo wir zu Boot fuhren, war es sehr schön. Still ruhte er, vom Abendscheine überstrahlt. Am Himmel sah man rosig angehauchte, schöngeformte Wolken. Auf einer Anhöhe stand die hübsche Kirche mit dem schlanken Turme. Ringsum waren grüne Ufer, Hügel, Täler und dunkler Wald. Am Ende das Sees schaute das dunkelrotgedachte Gutshaus aus grünem Gebüsch hervor. Die kleine Insel, „des Teufels Kopfkissen,“ lag lieblich mitten in der Flut. Leise bewegte sich das Uferrohr im Winde. Über den See flogen in kühnen Schwingen Schwalben.

  1. Selgerben heißt auf lettisch „Dsirziems,“ Dorf im (großen) Walde.
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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/76&oldid=- (Version vom 13.12.2020)