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späte Enkel fortdauern!“. Hinter Moken fuhren wir durch ein bewaldetes Tal, wo nicht lange vorher ein junger Pastor um schnöden Geldes willen ermordet worden war. Beim Wilxalnschen Kruge bereitete sich das zahlreich zusammenge­ strömte Landvolk trotz des Regens zu einem Grünfeste vor. Diese Feste, man nennt sie auch „Grünbälle“, sind im südlichen Teile der baltischen Provinzen auf dem Lande sehr beliebt. Der Tanzplatz war mit einer girlandengeschmückten Eingangspforte versehen, die eine für die Gelegenheit passende Inschrift, etwas von Liebe und Hoffnung, trug. Auf unserem weiteren Wege begegneten uns noch andere zu Fuß und im Wagen dem Festplatze zueilende „seltenihtes“[1], wie die landschen Schönen poetischerweise von den Letten genannt werden. Bei Puhren wurde die Gegend freier, aussichtsreicher. Wir näherten uns der Abau. Rechts am bergigen Rande des Flußtales lag Hof Puhren mit der Begräbnisstätte der Barone von Roenne. Das weiße Grabhäuschen leuchtete zwischen grünem Laube hervor. Wir setzten über die Abau, ein hier unansehnliches Flüßchen, und fuhren dann längs Deguhnen weiter. Nach einiger Zeit verließen wir den nach dem Regen dufterfüllten Wald und erblickten in der Ferne im Abautale — der Fluß macht hinter Puhren eine Wendung nach Westen — das in grüner Einfassung hell schimmernde Städtchen Kandau. Eine schöne steinerne Brücke über die Aban verbindet den diesseitigen Stadtteil Neu-Kandau mit dem alten Kandau drüben. Bereits vor dem Städtchen beginnt das bergige Gelände, welches das Abautal besonders auf der rechten Seite begrenzt, recht hoch anzusteigen, und bei Kandau gewähren diese grünen, teilweise schön belaubten, hohen Talwände

  1. „Seltenihte“ oder auch „Dseltanihte“ bedeutet wörtlich „Goldchen“ oder „Blondchen“; mit diesem Ausdruck verbindet der Lette den Begriff des Mädchenhaften, Anmutigen und Liebenswerten.
Empfohlene Zitierweise:
Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/13&oldid=- (Version vom 9.3.2019)