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hohen Ufer am Flusse vorzeiten eine Befestigung des Stiftes Pilten gelegen haben. Noch schlief in der frühen Morgenstunde der alte Fährmann drüben den Schlaf des Gerechten, und lange mußte ich seiner warten. Folgende Zeilen wurden da zur Erinnerung ins Tagebuch geschrieben: „Nebel bedeckt die Flur. Wie ein weißes Gewebe hat er sich über der Windau und ihren Uferweiden gelagert. Bei einem großen Gebüsche auf der Uferanhöhe schießen hinter hellgrauen Wolken die ersten Strahlen der eben aufgegangenen Sonne empor. Schon wird es drüben lichter, und die jenseitigen Ufer lassen ihre Umrisse erkennen. Die Vöglein sind erwacht: ein Gezwitscher ertönt überall als Morgengruß für die liebe Sonne. Man hört in der Nähe das Geläute des zur Weide ziehenden Viehes. Hähne krähen hin und wieder. Nebenbei sprudelt ein erquickender Quell aus den Uferanhöhen hervor und fließt rauschend zur Mutter Windau hinab. Taubedeckt sind noch die Wiesen.“ Endlich erschien der Fährmann und setzte mich über. Er trug noch die altmodische Tracht. Auf dem Kopfe hatte er eine Mütze mit Ohrenklappen ; die Jacke mit den großen metallenen Knöpfen hielt oben eine Ssakta fest; die Hosen gingen bis zu den Knöcheln, wo sie mit den Bändern der Pasteln umwickelt waren. Der siebzigjährige Mann lahmte auf einem Beine. Er war sehr freundlich und hinterließ mir das beste Andenken an die Wentinji, den lettischen Volksstamm am unteren Laufe der Windau, zu dem er seinem tahmischen Dialekte nach zu gehören schien. — Hinter dem Neuenkruge erholte ich mich im schattigen Fichtenwalde, da die Sonne schon wieder lange vom Himmel herabbrannte und ich müde geworden war. Durch Fichten- und Tannenwald, vorüber an einem nahen See (bei Tigwen), dem ein Bach zuströmte, ging es weiter. Allmählich wurde

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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/124&oldid=- (Version vom 20.8.2021)