Seite:BaumannImGottesländchen.pdf/111

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mit dem man die Haare der Brüder zusammenbinden könnte. Niemand antwortete; doch fand sich ein Mann, der einen Riemen reichte, damit die Qualen der Ärmsten nicht zu lange währen möchten. Mit dem Riemen band der Henker beider Haare zusammen und enthauptete sie darauf mit einem Streiche seines Schwertes. Der Himmel aber wollte aller Welt zeigen, daß ihr Blut unschuldig geflossen war. Zur Stunde entsprossen dem dürren Boden zwei Birken, an denen sich bald Auswüchse bildeten, die den Gesichtern der Brüder ähnlich sahen, und an mehreren Stellen der weißen Birkenrinde erschienen Blutflecken.“ Vom Richtberge konnte man die Gegend weit überschauen: Das Auge schweifte mit Wohlgefallen über die wald- und feldreichen Gefilde, die am Horizonte vom schimmernden Baltischen Meere begrenzt wurden.

Von diesem Berge wandten wir uns der Kirche und dem Schlosse in Alschwangen zu. Eine Stelle am Wege, wo ein Kreuz mit verwitterter Inschrift in lettischer Sprache stand, soll früher durch Gespenster oder böse Geister gefährdet gewesen sein. Das habe so lange gewährt, bis man an dieser Stelle ein Kreuz errichtete. So sei eines Abends ein Ssuiten-Wirt beim Priester in Alschwangen zum Besuch gewesen, und als er im Dunkeln nach Hause gegangen, sei ihm hier ein schwar­zer Hund mit funkelnden Augen begegnet und habe ihm nicht er­laubt, seinen Weg fortzusetzen. Der Wirt habe umkehren und sich vom Priester den Segen erbitten müssen. Darauf sei ihm der Hund nicht mehr erschienen. — In dieser Gegend soll noch an stillen Sommerabenden in seiner eigenen Weise auf Hügeln und Anhöhen der alte lettische Volksgesang ertönen.

Sonst ist er im lettischen Gebiete schon fast überall erloschen.[1]

  1. Nach der Einleitung zur „monumentalen“ Baronschen lettischen Volksliedersammlung gehörte Alschwangen zu den sehr wenigen Orten, wo die Sammler im 19. Jahrhundert noch mehrere Tausende von Volksliedern (Vierzeilern) aus dem Munde des Volkes haben aufzeichnen können, und nach der Aussage der Edwahlenschen Lehrer R. und A. sollen dort noch jetzt viele Frauen und Männer leben, die eine Menge Sagen, Märchen und Volkslieder kenneten.
Empfohlene Zitierweise:
Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/111&oldid=- (Version vom 20.8.2021)