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über und zwang darauf seinen Untergebenen von neuem den katholischen Glauben auf. Im Jahre 1634 vertrieb er den lutherischen Prediger und ließ die Kirche in Alschwangen wieder für den katholischen Gottesdienst einweihen. Gleich beim Betreten des Gebietes sahen wir eine Ssuitin in ihrer eigenartigen Tracht des Weges gehen. Ihre Lieblingsfarbe war rot. Der lange rote Rock mit schwarzer Verzierung reichte bis zur Brust, und ein ebenso gefärbtes Jäckchen bildete das obere Kleidungsstück, während ein rotes Tüchlein das Haupt bedeckte. Durch die hügelige, wiesenreiche Gegend von Allmahlen gelangten wir zur uralten sogenannten „heiligen Linde“ an der Landstraße nach Libau, 3 Werst von der Kirche zu Alschwangen. Von dieser Linde wird erzählt, daß im Jahre 1634 am Morgen des Pfingstsonntages der protestantische Prediger Lysander, der vor dem gewalttätigen Grafen Schwerin weichen mußte, hier, in einer Vertiefung des Baumes stehend, seine letzte Ansprache an seine ihm treu gebliebenen Gemeindeglieder gehalten und zum letzten Male das heilige Abendmahl verteilt habe; danach sei er fortgezogen, um nie mehr zurückzukehren. Von diesem Baume soll sich das Volk auch erzählen, daß er stetig der Kirche in Alschwangen näherrücke. Wenn er bis zu ihr gelangt, dann werde Alschwangen wieder lutherisch werden. Daher sollen die Leute auf eine jede Weise versucht haben, die Linde zum Verdorren zu bringen, aber das sei ihnen nicht gelungen: wer nur die Axt gegen den Baum erhoben oder einen Ast abgebrochen, von dem sei zur Stunde der Segen des Himmels gewichen und Unglück habe sich fortan an seine Fersen geheftet. Noch jetzt sah man im mächtigen Stamme Spuren von diesen Versuchen, den Baum zum Verdorren zu bringen. Die großen Narben und Einbuchtungen konnten unmöglich von Natur entstanden sein. Moosbedeckt waren die kolossalen Äste des Jahrhunderte alten Baumes, aber in voller Lebenskraft stand er noch

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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/109&oldid=- (Version vom 20.8.2021)