Seite:Band II - Der Osten (Holl) 281.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zeremonielles gehäuft ist, ist da nicht darauf zu schließen, daß das Verständnis für den Sinn der Formen entschwunden ist? Wo das Sinnlichste mit dem Schimmer des Göttlichen umkleidet ist, weiß man da noch, daß Gott Geist ist? – Wenn man unter diesem Eindruck die späteren griechischen Schriftsteller liest, so ist man überrascht, daß diese Kirche so gar kein Bewußtsein davon hat, daß sie der Erstarrung anheimfalle: vielmehr geht durch die ganze Kirche bis zum Schluß ein merkwürdiges Selbstgefühl, man rühmt sich, daß apostolischer Geist immer noch in der Kirche vorhanden ist. Ist das bloß dasjenige Selbstbewußtsein, das bei innerem Stillstand eintritt? Man muß die griechische Kirche davon freisprechen. Denn mindestens an einer Stelle spürte sie, daß unmittelbares religiöses Leben stets neu in ihr sich erzeugte. Sie sah in den Mönchen immer noch Träger des Geistes, und in allen Jahrhunderten wissen die Zeitgenossen uns von Männern zu erzählen, die die Prophetengabe und Wunderkräfte besaßen. Mit Stolz nannte die Kirche, wenn sie die Heiligen aufzählte, nach den Aposteln und Märtyrern die vollkommenen Asketen, und sie erblickte in den Zeichen, die diese verrichteten, das unmittelbare Zeugnis, daß Gottes Geist in ihr gegenwärtig sei. Uns mutet das kindlich an, aber man sieht die Wirkungen dieses kindlichen Glaubens, wenn man in der griechischen Kirche eine wunderbare Stärke des Gottvertrauens und eine geradezu heldenhafte Geduld findet.

In dem Anspruch des Mönchtums, den Geist zu besitzen, steckt ein gegenüber dem Bestehenden revolutionäres Element. Teilweise hat auch das griechische Mönchtum, mit häretischen Richtungen sich verschmelzend, die Formen der Kirche gesprengt, und selbst das orthodoxe Mönchtum hat mit der Kühnheit seiner enthusiastischen Ansprüche manchmal Anstoß erregt. Im sogenannten Hesychastenstreit (1341 bis 1351) ist die Kirche vor die prinzipielle Frage gestellt worden, ob sie diesen Enthusiasmus dulden wolle oder nicht. Es handelte sich um den Anspruch vornehmlich der Athosmönche, daß sie in den Augenblicken der Ekstase das Licht, d. h. die göttliche Herrlichkeit schauten. Die Kirche hat sich für die Mönche erklärt, sie wollte auf den Enthusiasmus nicht verzichten. Mit einem gewissen Instinkt hat sie sich damit ein Element bewahrt, dessen sie zum Gegengewicht bedurfte. Andererseits hat aber auch das orthodoxe Mönchtum es vortrefflich verstanden, sich den kirchlichen Formen anzuschmiegen und sie mit seinen Ideen zu beleben. Es läßt sich beim heutigen Stand der Forschung nicht sagen, wie weit das Mönchtum diese Formen selbst produziert, wie weit es sie nur fortgebildet und mit seinem Geist erfüllt hat, aber so viel ist sicher, daß der Grundgedanke aller dieser Formen dem mönchischen Ideal entspricht, und daß das Mönchtum vor allem es ist, das den Sinn dieser Formen aufrecht erhält. Wenn der Gottesdienst das erhabene Geheimnis, wie Gott unter den Menschen erschienen ist, dem Auge vorführen soll[1], wenn streng darauf gehalten wird, daß nur, wer würdig ist, diese Geheimnisse schauen darf, so sind die Motive die nämlichen wie die, auf denen das mönchische Ideal ruht. Die einfachen Gedanken, daß es die höchste Seligkeit für den Menschen ist, das Göttliche zu schauen, und daß nur der der Schauung teilhaftig werden kann, der vom Schmutz der Sünde, von der Unruhe der Leidenschaften frei ist, sind hier wie dort wirksam. Was der

  1. Ich möchte damit nicht die Ansicht vertreten haben, daß die griechische Liturgie eine dramatische Darstellung der Menschwerdung sei.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_281.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)