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haben, jenes Kokettieren mit dem eigenen Ich, kann man nicht leugnen, daß die griechische Art die gesundere ist. Diesem richtigen Instinkt verdankt das griechische Mönchtum das, was wir an seinen edelsten Vertretern bewundern, die Geschlossenheit und die unerschütterliche Ruhe des Charakters, die stetige Freudigkeit der Stimmung. Wer würde es diesen Männern ansehen, daß sie die einfache Sicherheit ihres Urteils und ihrer Haltung in hartem Kampf mit sich selbst errungen haben, wer würde es merken, daß so viel Selbstreflexion dahinter liegt, die doch so leicht den Willen entnervt und die Reinheit des Strebens trübt?

Was das Mönchtum entdeckt und geübt hat, ist für die ganze Kirche von Bedeutung geworden. Man spürt die Wirkung bald in der Predigt. Nicht daß der Grundcharakter der griechischen Predigt, die dithyrambische Schilderung sich geändert hätte. Aber von dieser Zeit an vermögen es doch manche Prediger, Basileios und Chrysostomos in erster Linie, tiefer zu dringen und den Menschen persönlich zu fassen. So viel in den griechischen Predigten und gerade das Kunstvollste ist für uns nicht mehr genießbar, es schmeckt zu stark nach antiker Rhetorik; – was uns heute noch ergreift, die Stellen, an denen es den Predigern gelingt, das allgemein Menschliche zu berühren, das sind zugleich gerade die Stellen, an denen sie unter den Impulsen des Mönchtums stehen.

Selbst in dem harten Boden der byzantinischen Dogmatik regt sich ein neuer Keim, der vom Mönchtum herübergeflogen ist. Wenn man das dogmatische Hauptwerk des Johannes von Damaskus mit ähnlichen früheren Werken, etwa mit der großen katechetischen Rede des Gregor von Nyssa vergleicht, so fällt sofort der Unterschied auf, wie umfangreich die Anthropologie ist und wie eingehend jetzt psychologische Fragen erörtert werden. Johannes behandelt nicht bloß wie die Alten Sünde und Willensfreiheit, sondern er redet auch von Lust- und Unlustgefühl, von Furcht, von Zorn, vom Einbildungsvermögen, von der Apperzeption, von Denkvermögen und Gedächtnis, von Begehren und Wollung. Gewiß sind seine Aufstellungen keineswegs original; die alten Philosophen haben die Begriffe und die präzisen Definitionen geliefert. Aber woher kommt es, daß die Kirchenväter es für nötig halten, diese Fragen in der Dogmatik zu behandeln? Es gibt keine andere Antwort darauf, als die, daß das Mönchtum auf die Bedeutung der psychologischen Probleme hingewiesen hatte. Damit ringt sich, wenn auch in bescheidenster Form, ein Gedanke wieder durch, den die älteren Systeme hatten verkümmern lassen. Das Christentum, sofern es Weltanschauung ist, durchbrach die alte Metaphysik mit der Erkenntnis, daß der Mensch nicht ein ens neben andern entia, daß sein Ich ein Wesen eigener Art, höheren Werts als die übrige Welt ist. Die ersten, die das Christentum wissenschaftlich darstellten, haben diese Erkenntnis verdunkelt. Sie glaubten das Christentum verteidigen und seine Wahrheit sicherstellen zu können, wenn sie seine Gedanken anknüpften an philosophische Prinzipien: sie nahmen den Grundriß der alten Philosophie auf, und so erschien in ihren Systemen der Mensch nur als Teil des Universums, die Erlösung nur als spezielle Seite der Kosmologie resp. der Weltentwicklung. Zur kraftvollen Geltendmachung der wiedergewonnenen Erkenntnis kam es auf griechischem Boden nicht. Aber der Gedanke ist doch lebendig geblieben. Die Mystik, die im Orient erwuchs und die sich neben der abendländischen nicht zu

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Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_278.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)