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hinweisen, daß es von den ältesten Zeiten her in der christlichen Gemeinde einen besonderen hochangesehenen Stand der Asketen gab, daß überhaupt die Übungen der Entsagung hochgeschätzt wurden und die Erwartung sich daran knüpfte, daß dem Asketen besondere geistige Gaben zuteil würden, man kann endlich, um den Bruch des Antonios mit der Welt und mit der Gemeinde zu erklären, daran erinnern, welchen Anstoß die Kompromisse, zu denen sich die Kirche entschließen mußte, strenger gerichteten Christen bereiteten. Dennoch wird die vita Antonii darin recht haben, daß sie eine individuelle Erfahrung voranstellt und den Antonios schildert, als ob hier erst das Ideal erzeugt worden wäre. Das Ideal des Mönchtums ist nicht bloß eine Häufung wie von selbst sich vereinigender Motive, seine Stimmung ist nicht bloß der Reflex der Verhältnisse der damaligen Welt[1]. Eine neu erwachende Empfindung, ein übermächtiges Gefühl für die Größe der religiösen Güter und Pflichten, eine vertiefte sittliche Erkenntnis, der alle asketische Leistung nur Mittel zur inneren Befreiung ist, ein neues Kraftgefühl, das sich in dem Wiederaufleben des Enthusiasmus kundgibt, – das sind die festen Grundzüge, in denen sich der originale Charakter der Bewegung offenbart.

Das Ideal der vita Antonii ist als das Ideal des wahren Mönchs in der griechischen Kirche unverändert durch alle Jahrhunderte hindurch festgehalten worden. Es ist das Ideal des Einsiedlers, des Anachoreten. Zwar ist sehr bald, als das Mönchtum sich ausbreitete, der Trieb und das Bedürfnis nach Vereinigung der Gleichgesinnten entstanden, und Basileios hat den Versuch gemacht, die Anschauung zur Herrschaft zu bringen, daß die in Klöstern zusammenlebenden Mönche ein höheres Ideal verwirklichten als die Anachoreten; er machte namentlich geltend, daß sie auch das Gebot der Nächstenliebe erfüllten. Aber wenn schon naturgemäß das in Könobien vereinigte Mönchtum der Zahl nach überwog, die Tendenz des Basileios hat doch nicht durchdringen können. Die Könobiten selbst fügten sich darein, anzuerkennen, daß der Anachoret erst der vollkommene Mönch sei: nur er brach ja ganz mit der Welt, nur er stand völlig auf sich selbst. Was wollte es dagegen heißen, wenn der Könobit sich rühmte, daß er auch die Nächstenliebe nicht versäume? War es doch Nächstenliebe nur in beschränktem Umfang – denn der Nächste ist in erster Linie der Klostergenosse –, und gar zu handgreiflich war es, daß das Gemeinschaftsleben eine Erleichterung bedeutete und zerstreuend wirkte, während das Ziel Sammlung der Gedanken und einziges Genüge an Gott war.

Seitab von Welt und Kirche führt der Weg, den das griechische Mönchtum geht. Auch in sich selbst hat es kein Bedürfnis nach festerem Zusammenschluß gehabt. Etwas einem Orden Vergleichbares gibt es im Orient nicht. Das einzelne Kloster bildet eine Welt für sich. Höchstens, daß in Gegenden, in denen das Mönchtum dominierte, ein loser Verband hergestellt wurde. So vorübergehend in Palästina im fünften und sechsten Jahrhundert und dauernd auf dem Athos, dem heiligen Berg[2]. Auch hier nicht so, daß die Selbständigkeit der einzelnen Könobien aufgehoben worden wäre. – Wenn man sich diesen Charakter des griechischen Mönchtums vergegenwärtigt, so

  1. [Andacht, nicht Askese das Ziel.]
  2. Näheres darüber bei Ph. Meyer, Die Haupturkunden zur Geschichte der Athosklöster, Leipzig 1894.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_272.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)