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erster Linie liegen müssen, auf dem Gebiete des inneren geistigen Lebens, so wird man finden, daß auch die griechische Kirche Grund hat, auf ihr Mönchtum stolz zu sein, und nachdem die Vorwürfe, die man gegen die Orientalen erheben kann, zum Ueberdruß wiederholt worden sind, ist es wohl billig, auch einmal vorwiegend die guten Seiten hervorzuheben.

Was ist der Gedanke, den das Mönchtum ursprünglich verwirklichen wollte? - Die älteste Heiligenbiographie, die von Athanasios verfaßte vita Antonii, schildert uns in anschaulicher Weise das innere Werden dieses Urbildes aller griechischen Mönche[1]. Sie erzählt uns, daß Antonios einmal auf dem Weg zur Kirche von dem Gedanken bewegt wird, wie die Apostel alles hingegeben hätten, und welche Verheißung dem wahren Jünger Christi im Himmel aufbewahrt sei. Es trifft sich, daß in der Kirche das Evangelium vom reichen Jüngling verlesen wird. Das schlägt bei ihm ein. Er faßt den Entschluß, das Seinige preiszugeben und nach dem Beispiel der ersten Jünger dem Herrn nachzufolgen. Sein Ziel sieht er darin, die innere Vollkommenheit zu erreichen, durch die man des Himmelreichs würdig wird. So fängt er, zunächst noch in der Nähe seines Heimatdorfes sich aufhaltend, an, sich mit sich selbst zu beschäftigen, die Tugenden, die er bei anderen sieht, sich anzueignen und in anhaltendem Gebet die Gemeinschaft mit Gott zu suchen. Versucherische Gedanken machen ihm dabei zu schaffen; er kämpft sie nieder, aber je weiter er innerlich fortschreitet, desto deutlicher wird ihm, daß das, was ihn versucht und seinen Frieden stört, nicht bloß die Gedanken des eigenen Herzens sind: hinter diesen steht die Welt des Bösen, der Satan mit dem Heer seiner Dämonen, die das Gute nicht aufkommen lassen wollen. Mit diesen Mächten muß er fertig werden, wenn er definitiv die innere Ruhe gewinnen will, und dies kann er nur in völliger Einsamkeit. So wird er unter stets sich steigernden Kämpfen immer weiter in die Wüste hinausgetrieben; aber in diesen Kämpfen wachsen auch seine Kräfte. Je mehr der überirdische Gegner ihn unmittelbar angreift, desto mehr wird auch sein Blick geschärft für die Dinge der unsichtbaren Welt, desto mehr verspürt er auch in sich das Vermögen, Uebernatürliches zu vollbringen. Der Herr, für den er streitet, begnadet ihn mit Offenbarungen und erfüllt ihn mit dem Geiste; er erhält Macht, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben, und so von Gott unterstützt, gelangt er an sein Ziel. Es kommt einmal ein Zeitpunkt, wo er innerlich fertig und sicher ist, wo er die Ruhe des Herzens gewonnen hat und die Schrecknisse der Dämonen keine Macht mehr über ihn haben. – Ein ganz der inneren Heiligung gewidmetes Leben, in dem durch Entsagung und Selbstzucht die Seele frei wird, so daß sie ständig das Angesicht Gottes zu schauen vermag, das ist das Ideal der vita Antonii.

Rein auf den persönlichen Drang des Antonios nach Frieden und Gottgemeinschaft führt die vita die Entstehung dieses Ideals zurück; Zug um Zug ergibt sich in ihrer Schilderung mit innerer Notwendigkeit aus dem ersten Entschluß des Antonios. Die geschichtliche Betrachtung kann Linien ziehen, die auf dieses Ideal hinführen. Sie kann in der Theologie, vor allem bei Clemens von Alexandrien in seiner Schilderung des vollkommenen Gnostikers, die ideelle Wurzel zeigen; sie kann darauf

  1. Vgl. o. S. 250 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_271.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)