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Unrecht, wenn man ihre weitergehenden Hoffnungen als halbes Spiel beurteilt. Für den Christen ragt das Jenseits ständig in die Gegenwart herein; er fühlt es, wie die Ewigkeit ihn streift. Ihm ist auch die Gottheit kein abgezogener Begriff, sondern eine lebendige, persönliche Größe. Die Wucht dieser Empfindungen läßt dem christlichen Schriftsteller das Kleinliche aus dem Gesichtskreis zurücktreten und zwingt ihn ganz von selbst dazu, den großen Stil innezuhalten.

     Dazu kommt: das Christentum hat, praktisch wenigstens, den Intellektualismus durchbrochen, der der griechischen Philosophie in allen ihren Formen anhaftet. Um die Willensgestaltung, um das Ich handelt es sich ihm ausschließlich. Dadurch steigen die Fragen des Innenlebens an Bedeutung. Die Vertiefung des Gegensatzes zwischen Gut und Böse ins Jenseitige hinein schärft zugleich den Blick für die Abgründe der Seele. Darauf fußend hat Athanasius den Kampf, den Antonius besteht, so folgerichtig schildern können.

     Der größere Ernst, mit dem die Sache erfaßt wurde, hat die Höherentwicklung der Form bei Athanasius bewirkt[1].

     Athanasius ist nicht Schöpfer einer Literaturgattung gewesen, wohl aber ihr Vollender. Er hat auf den ersten Wurf etwas geschaffen, das seine Nachfolger nicht zu übertreffen, ja kaum zu erreichen vermochten. Seine Vita Antonii stellt das Muster dar, dem man im Orient nacheiferte, solange dort überhaupt Heiligenleben geschrieben wurden[2]. Ueberall kehren die Stufen, die Athanasius aufgezeigt hat (Kampf mit der Sinnlichkeit, Kampf mit dem Satan und den Dämonen, Gewinnung der παρρησία, Erlangung des ewigen Lebens), in den späteren Legenden wieder. Die Unterschiede, die Mertel zwischen den einzelnen Schriftstellern hat finden wollen, rühren teils daher, daß er die Gattungen nicht sauber auseinanderhält[3], teils daher, daß er fremde Gesichtspunkte einmischt. Wenn er, was letzteres anlangt, ein wichtiges Kennzeichen darin erblickt, ob die Verfasser Sinn für Geschichte, d. h. namentlich für die Zeitgeschichte, bekunden[4], so steht das auf derselben Höhe, als wenn


  1. Mertel schließt seine Abhandlung mit dem wunderlichen Urteil, die richtige Form für die Darstellung eines christlichen Heiligenlebens sei „zweifellos nur“ die des ἐγκώμιον gewesen. Das umgekehrte trifft zu. In der Form der Lebensbeschreibung, die das Emporklimmen zum Ideal schilderte, hat das Christentum weit besser als in irgendeiner andern sein Eigenstes auszusprechen vermocht. Das ἐγκώμιον legt den christlichen Verfassern einen viel stärkeren Zwang auf, ein bestimmtes Fachwerk nach hergebrachter Sitte auszufüllen, und verleitet auch die Besten immer dazu, sich in nichtssagenden Schönredereien zu ergehen.
  2. [Um so mehr, weil die Vita Antonii zugleich Lebensmuster für das Mönchtum geworden ist.]
  3. Der Grundriß der Vita Antonii war nur bei einem Mönchsheiligen ganz reinlich durchzuführen. Das Leben eines Bischofs nach diesem Muster zu gestalten, stieß naturgemäß auf Schwierigkeiten. Um so beachtenswerter ist, daß auch in solchem Fall die Verfasser nicht darauf verzichten, den Stoff soweit möglich in diesen Rahmen zu zwängen. Andrerseits hat das Heiligenleben auch das ἐγκώμιον beeinflußt, sofern in der Einleitung häufig das Werden des Heiligen – bei einem Märtyrer geht das selbstverständlich nicht – im Sinn der Vita Antonii geschildert wird. Aber darum darf man Lebensbeschreibung und ἐγκώμιον doch nicht verwechseln.
  4. Auf Grund davon nennt er dann den Kyrill von Skythopolis den „Einsiedler auch auf literarischem Gebiet“. Krüger, der doch sonst Geschmack hat, hat diesen Ausdruck gar WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt [269] noch bewundert. Uebrigens steht Kyrill von Skythopolis mit der an ihm gerühmten Eigenschaft nicht so einsam da, wie Mertel und Krüger glauben.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_268.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)