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davon zu überführen[1]. Aber auch in der Gliederung der vorausgehenden Erzählung treffen beide Schriftsteller zusammen: hier wie dort bildet die Grundlage das Streben des Helden nach Reinheit, das ihn stufenweise emporführt; und hier wie dort gilt die Ueberzeugung, daß die Höhe schon innerhalb des irdischen Lebens gewonnen werden kann: daher der Einschnitt in der Mitte und die darauffolgende Schilderung der segensreichen Tätigkeit des Verherrlichten.

     Es ist eine der großen Erkenntnisse gewesen, die uns die Literaturgeschichte von Wilamowitz gebracht hat, daß der bequeme Satz: das Christentum übernimmt die Formen des alten Schrifttums, erfüllt sie jedoch mit ganz neuem Inhalt, dem Tatbestand gegenüber nicht ausreicht. Die Aehnlichkeit erstreckt sich bis tief in den Inhalt hinein; ohne das wäre auch die Uebernahme der Formen nicht möglich gewesen. Man wird das auch in unserm Fall bestätigt finden.

     Aber hier hat man, wie sonst nicht häufig, Anlaß, zugleich die Ueberlegenheit des christlichen Schriftstellers gegenüber seinen griechischen Vorgängern zu betonen. Ohne alle Frage steht die Vita Antonii, künstlerisch betrachtet, unvergleichlich höher[2] als die Schrift des Philostratus. Philostratus putzt seinen Stoff mit allem möglichen Zierat heraus, mit Länderschilderungen, wissenschaftlichen Abschweifungen und eitlen Ruhmredereien. Dadurch bringt er sich um die geschlossene Wirkung. Athanasius geht geradlinig auf sein Ziel los; streng hält er die Aufmerksamkeit des Lesers bei dem eigentlichen Gegenstand fest; er muß ihm folgen und den sittlichen Kampf, der sich in der Seele des Antonius abspielt, mitdurchleben, als ob es seine eigene Angelegenheit wäre. – Aber auch in der Einzeldurchführung des Grundgedankens erweist Athanasius sich als der Größere. Sein Antonius wächst ganz von innen heraus. Durch die Notwendigkeit der Sache wird er von Stufe zu Stufe weitergetrieben; selbst der Wechsel des Schauplatzes ist nicht willkürlich. Bei Philostratus ist der Fortschritt des Helden immer zugleich in einem Aeußerlichen, einem Zufälligen, der Belehrung durch andere, begründet. Gerade die höchste Stufe erreicht Apollonius nur durch einen derartigen fremden Eingriff, ohne daß dem Leser aus dem Wesen des Ideals heraus gezeigt würde und gezeigt werden könnte, dass gerade dieser Weg der einzig mögliche war.

     Man kann aber nicht umhin, die Vorzüge, die sich bei dem christlichen Schriftsteller finden, mit der größeren Tiefe des christlichen Gedankens überhaupt in Zusammenhang zu bringen. Das Christentum glaubt viel ernsthafter an die jenseitige Welt, als es jenen frommen Philosophen möglich schien. Wie diese sich in Wahrheit zu ihrer Theologie stellten, dafür ist Seneca vielleicht das beste Beispiel. Er holt jene schönen Vorstellungen hervor, wenn es gilt, andere zu trösten oder ihren Lebensmut zu stärken. Aber wenn er selbst sich aufs eigene Sterben rüsten soll, so behilft er sich doch lieber mit einfacheren stoischen Gründen. Man tut darum diesen Männern kein


  1. Eine Einzelheit hebe ich noch hervor, weil der Zug in vielen christlichen Legenden wiederkehrt: gewisse Zeugen wollen gehört haben, wie Apollonius bei seinem Eingang in den Himmel von lobsingenden Chören empfangen wurde, VIII 30; 342, 21 ff. Kayser.
  2. Ich stimme Ed. Schwartz, Zur Gesch. des Athanasius VIII (Nachr. der Göttinger Ges. d. Wiss. 1911) S. 485⁴, ganz bei, dass die Vita Antonii das Beste ist, was Athanasius geschrieben hat. Höchstens die sogenannten Jugendschriften können mit ihr in Wettbewerb treten.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_267.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)