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     Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Vita Apollonii des Philostratus geschrieben. Das Werk des Philostratus hält darin den alten Stil noch fest, daß Apollonius in der Einleitung zum Göttersohn gemacht wird. Aber das ist hier nur Verbrämung. Denn Philostratus fügt sofort hinzu, daß Alpollonius es noch weiter gebracht hätte als sein Erzeuger Proteus[1]. Die göttliche Abstammung soll demnach eine Entwicklung, das Erringen eines Höheren, nicht ausschließen; Philostratus läßt sich dadurch auch nicht abhalten, die natürlich–menschlichen Anlagen hervorzuheben, vermöge deren Apollonius emporkam. Daß er unter ihnen besonders die Stärke des Gedächtnisses nennt[2], entspricht seiner pythagoreischen Philosophie.

     Die eigentliche Darstellung verläuft in drei Absätzen: 1. B. 1–3: Das Werden des Apollonius. 2. B. 4–6: Seine Wirksamkeit im römischen Reich. 3. B. 7 u. 8: Das Ende.

     Die Vita erzählt zunächst, wie Apollonius das philosophische Leben unter Anleitung eines Pythagoreers beginnt, aber rasch über seinen Lehrer hinauswächst. Denn er bemüht sich, das Ideal der Reinheit wirklich darzustellen, während jener es nur verkündigt. Darum wird er schon in dieser Anfangszeit ein besonderer Liebling des Gottes von Aegä und Berater für andere. – Auf eine höhere Stufe steigt er, als er das fünfjährige Schweigen hält: seine bloße Erscheinung, sein Auftreten ohne Worte genügt jetzt, um eine erregte Volksmenge zur Vernunft zu bringen. – Den Gipfel erreicht Apollonius jedoch erst durch seine Reise nach Indien. In langem vertrautem Umgang mit den Brahmanen wird er ihnen ebenbürtig. Sie bezeugen es ihm bei seiner Abreise ausdrücklich, daß er schon bei Lebzeiten als Gott gelten werde[3]. Von jetzt an besteht seine Aufgabe nur noch darin, sich selbst gleich zu bleiben[4].

     Apollonius durchzieht nun das römische Reich. Von Kleinasien aus geht er nach Hellas, von da nach Rom, von dort aus nach Spanien; er dringt vor bis zu den Säulen des Herakles. Ueber Sizilien und Griechenland zurückgekehrt, begibt er sich nach Aegypten; auch hier gelangt er bis zu den Quellen des Nil. Die Absicht ist deutlich[5], den Apollonius auf beiden Seiten die Grenzen der Welt erreichen zu lassen, um damit die allumfassende Bedeutung seiner Tätigkeit festzustellen. Ueberall wirkt Apollonius für wahre Gottesverehrung und Sittlichkeit, er heilt Kranke und Besessene, befreit eine Stadt von der Pest, kündigt die Zukunft vorher und liest in den Menschenherzen, kurz er erscheint wie ein Heiland der Welt.

     Dem glanzvollen Leben entspricht ein glanzvolles Ende. Eine höchste Probe gilt es für den Philosophen noch zu bestehen: die Bewährung vor dem „Tyrannen“[6]. Nicht ohne schriftstellerisches Geschick weiß Philostratus es einzuleiten, daß Apollonius gerade mit Domitian zusammenstoßen muß. Freiwillig–unfreiwillig kommt


  1. I 4; 4,31 ff. Kayser: καὶ μεμνῆσθαι χρὴ τοῦ Πρωτέως, μάλιστα ἐπειδὰν προϊὼν ὁ λόγος δεικνύῃ τὸν ἄνδρα πλείω μὲν ἢ ὁ Πρωτεὺς προγνόντα, πολλῶν δὲ ἀπόρων καὶ ἀμηχάνων κρείττω γενόμενον.
  2. I 7; 6, 1 Kayser, vgl. II 41; 83, 19; III 16; 96, 3.
  3. III 50; 121, 12 ff. Kayser.
  4. VI 35; 247, 16 ff. Kayser.
  5. Vgl. Baur, Apollonius von Tyana.
  6. VII 1: οἶδα καὶ τὰς τυραννίδας, ὡς ἔστιν ἀρίστη βάσανος ἀνδρῶν φιλοσοφούντων καὶ ξυγχωρῶ σκοπεῖν ὅ τι ἕκαστος ἑτέρον ἧττον ἢ μᾶλλον ἀνὴρ ἔδοξεν.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_265.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)