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kann erhörlich beten in Fällen, wo andern die Bitte abgeschlagen wird[1]. Clemens versäumt aber auch nicht, hervorzuheben, dass diejenigen, die diese Stufe erreicht haben, die berufenen Helfer, Berater und Seelenführer für die übrigen sind[2]; er ermahnt in Quis dives salvetur die Gemeindeglieder dazu, die Dienste, die ihnen Gnostiker leisten können, sich wohl zunutze zu machen.

     Zug um Zug deckt sich dieses Bild mit der Schilderung in der Vita Antonii. Zwischen Clemens Alexandrinus und dem Mönchtum steht nur die, allerdings tief einschneidende Erkenntnis, dass das hohe Ideal innerhalb der verweltlichten Gemeinde nicht verwirklicht werden könne, und das leidenschaftliche Verlangen der „Stürmer des Himmelreichs“, das Schauen Gottes schon in diesem Leben vorwegzunehmen[3].

     Aber der vollkommene Gnostiker des Clemens weist seinerseits wieder auf ein viel älteres Ideal zurück, auf die griechische Wunschgestalt des vollkommenen Weisen. Ueber Clemens Alexandrinus hinüber knüpft das christliche Mönchtum zuletzt an Sokrates an: nicht umsonst ist das γνῶθι σαυτόν eine Grundregel auch des Mönchtums geworden. Das Mönchtum selbst hat diese Beziehung anerkannt, indem es sich den Namen einer Philosophie gefallen ließ[4].

     Nicht die ganze Geschichte des Ideals des Weisen ist hier zu wiederholen. Nur die Entwicklungsstufe kommt für uns näher in Betracht, an die Clemens unmittelbar anknüpft.

     Es handelt sich um die Form, die sich etwa seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert herausbildet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, das das Ideal sich stark nach der religiösen Seite hin wendet. Der mächtigen Sehnsucht nach einem Jenseits, die unter den im römischen Reich vereinigten und sich dort wie verloren und verlassen fühlenden Völkern erwacht, hat auch die Philosophie nachgegeben. Aber – das darf wohl zur Ergänzung der glänzenden Schilderungen bei Cumont, Reitzenstein


  1. Strom. VI §101, 3; 482, 22 ff. Stählin; Strom. VII §73,1; 52, 21 ff.; QDS. §35,1; 183,4.
  2. Strom. VI §106, 2; 485, 10 ff. Stählin; §161, 1; 514, 29 ff.; Strom. VII §3, 4; 4,20 ff.; §13, 2; 10, 19 ff.; §16, 1; 12, 3 ff; §53, 5; 39, 27 ff.; §77, 4; 55, 8 ff.; §81, 7; 58, 19.
  3. Wie Clemens in diesem Punkt denkt, vgl. Strom. V §7, 7; 330, 13 Stählin: δῆλον γὰρ μηδένα ποτὲ δύνασθαι παρὰ τὸν τῆς ζωῆς χρόνον τὸν θεὸν ἐναργῶς καταλαβέσθαι. [Für die Anfänge des Mönchtums wichtig die von Zahn, Forsch. zur Gesch. des nt. Kan. II 286, hervorgehobene Stelle Irenäus IV 30, 3 (Harvey II 250.)]
  4. Es ist noch wenig darauf geachtet worden, wie viele und gerade bezeichnende Ausdrücke die mönchische Sprache aus der philosophischen entlehnt hat. Ohne irgendwie auf Vollständigkeit auszugehen, hebe ich die folgenden hervor: (ἄσκησις, ἀσκητής (z. B. Epiktet Diss. II 18, 27; III 12, 8 Schenkl), σπουδαῖος, ἀναχώρησις, μονάζειν, κατάκλειστος. (Iambl. Vit. Pyth. c. 35 §253), φροντιστήριον (Philostr. Vit. Apoll. III 50; 121, 15 Kayser: VI 6; 210, 15; VI 10; 212, 10 und MPG. 116, 613 D), κοινόβιον (wenigstens κοινόβιοι Iambl. Vit. Pyth. c. 6 §29), σχῆμα, ῥάκος, προσέχειν ἑαυτῷ (besonders lehrreich Philo, De migr. Abr. §8; 270, 5 Wendland), ἆθλον, ἀγὼν, πόνος (= geistliche Mühe), ὠφελεῖν (= geistlich fördern), διορατικὸν γενέσθαι, θεοφιλής, φίλος τοῦ θεοῦ (Epiktet, Diss. IV 3, 9; aber vgl. Enthusiasmus und Bußgewalt 129¹; die dort angegebenen Stellen könnten stark vermehrt werden), θεῖος (als Ehrenname für Personen vom Christentum nur zögernd aufgenommen, doch vgl. schon Clem. Alex. z. B. Strom. VI §95, 2; 479, 23 Stählin [Irenäus I 15,5; I 155 Harvey]; zum Ersatz für θεῖος ἄνθρωπος sagt man innerhalb des Christentums θεοῦ ἄνθρωπος).
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_257.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)