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die sie aufzeigen will. Darnach läßt sich erst entscheiden, ob ihr ein gestaltender Gedanke innewohnt, und ob dieser Gedanke auf christlichem Boden erwachsen oder von außen her übernommen ist.

     Als Unterlage hiefür genügt das erste Beispiel dieser Schriftstellerei, das von Athanasius entworfene Lebensbild des Antonius. In ihm kommen bereits alle für die Gattung bezeichnenden Merkmale zum Vorschein[1].

     Athanasius gliedert sich seinen Stoff in fünf, von ihm selbst deutlich hervorgehobene Abschnitte.

     1. c. 1–7. Nachdem er den Leser kurz über die Persönlichkeit des Antonius unterrichtet hat, setzt er ein mit der Schilderung der Bekehrung. Auf dem Weg zur Kirche wird Antonius einmal von dem Gedanken überrascht, wie groß doch die christliche Hoffnung sei und welche Opfer sich’s die Männer der Urzeit haben kosten lassen, um ins Himmelreich zu gelangen. Als es sich nun eben trifft, daß in der Kirche das Evangelium vom reichen Jüngling verlesen wird, da schlägt die Mahnung des Herrn „Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe, was du hast“ bei ihm ein. Er geht hin und entäußert sich seines Besitzes.

     Allein die Weggabe der Habe ist nur die Erfüllung einer Vorbedingung. Die Vollkommenheit, die der Herr meint, fordert Höheres; sie bedeutet so viel wie Herzensreinheit, gemäß dem Wort, daß nur die, die reines Herzens sind, Gott schauen werden[2]. Damit ist der Leitgedanke für das Folgende ausgesprochen. Antonius muß, nachdem er sich von der Welt gelöst hat, die Arbeit an sich selbst[3] aufnehmen, um zur Herzensreinheit durchzudringen.

     Er fängt das so an, daß er zuerst bei den Asketen seines Dorfs in die Schule geht. Er lernt jedem seine besonderen Tugenden ab und bringt es damit bereits so weit, daß er für einen „Gottgeliebten“ gilt. Aber ohne Kampf soll ihm das Fortschreiten nicht gelingen. Der böse Feind versucht ihn mit der Erinnerung an die Welt, die er verlassen hat, und reizt ihn, wie das nicht hilft, mit Lockungen der Sinnlichkeit. Antonius widersteht jedoch tapfer. Seinen Höhepunkt und sein Ende erreicht der Kampf damit, daß der Geist der Unzucht, der ihn bisher verführen wollte, dem Antonius leibhaftig erscheint. „Das war der erste Gang des Antonius gegen den Satan“ schreibt die Vita am Schluß dieser Erzählung. Sie setzt damit deutlich einen Punkt.

     2. c. 8–10. Der Streit geht, das hat Antonius aus diesem ersten Zusammenstoß gelernt, nicht nur wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürsten und Gewaltigen der Finsternis[4]. Hinter den Versuchungen im eigenen Innern steht der


  1. Ich kann es nicht vermeiden, bei dieser Gelegenheit manches noch einmal zu sagen, was ich bereits „Enthusiasmus und Bußgewalt“, Leipzig 1898, ausgeführt habe.
  2. c. 7; Migne XXVI 853 B: καθ' ἡµέραν ἐσπούδαζεν ἑαυτὸν παριστάνειν τοιοῦτον οἷον χρὴ φαίνεσθαι τῷ θεῷ, καθαρὸν τῇ καρδίᾳ. c. 20; 873 B: φυλάξωμεν ἑαυτοὺς ἀπὸ ῥυπαρῶν λογισμῶν καὶ ... τηρήσωμεν τῷ κυρίῳ τὴν ψυχήν, ἵν’ αὐτὸς ἐπιγνῷ τὸ ποίημα αὐτοῦ, οὕτως οὖσαν ὥσπερ αὐτὴν καὶ πεποίηκεν αὐτός.
  3. c. 3; Migne XXVI 844 B: προσέχων ἑαυτῷ. c. 20; 873 A: ἐν ἡμῖν δέ ἐστι τὸ ἔργον καὶ εὔκολόν ἐστι τὸ πρᾶγμα, ἐὰν μόνον θελήσωμεν ... φθάσας γὰρ εἶπεν ὁ κύριος· ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν.
  4. Eph. 6,12 wird c. 21, 873 C ausdrücklich angeführt.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_250.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)