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Es sonnt sich das schillernde Schlänglein im Gras, Eichhörnchen setzet im Fluge
Von Zweige zu Zweig und voll Neugier blickt es nach dem waidlichen Zuge.

Da schwingt auf einmal über’n Haseldorn

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Sich stolz ein weißer Hirsch von sechzehn Enden;

Heisa! wie treibt sein Roß des Grafen Sporn,
Wie setzt er nach, den Wurfspieß zu versenden!
Jetzt endlich stellt ganz nah das Wild sich dar,
Doch nur um schnell um’s Waldeseck zu biegen –

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Fern läßt der Graf zurück der Diener Schaar,

Sein Roß scheint, gleich dem weißen Hirsch, zu fliegen.

Durch verwachsen Gestrüpp, noch verschont von der Axt, in des Dickichts verborgnes Geflechte,
Folgt tief bald hinab, hinauf bald der Graf, und den Spieß hält zielend die Rechte;
Jetzt sendet er ihn dem Flüchtigen nach, doch der ist ihm glücklich entgangen,

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Fort flieget der Hirsch, ihm nach der Graf mit schweißumperleten Wangen.


Doch mitten in dem athemlosen Lauf
Schleudert ein Ast den Reiter von dem Pferde,
Und Hirsch und Renner fliehn im Sturmgeschnauf,
Betäubt hebt schwer der Graf sich von der Erde.

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Ins Hüfthorn stößt er laut und oft und lang –

Doch’s Echo nur schallt von der Berge Rücken,
Schon dämmerts Abend und vom Felsenhang
Sieht er den Wolf mit glühendem Aug’ sich bücken.

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„Weh! verirrt in der Nacht, im unheimlichen Wald!“ beginnt der Graf nun zu klagen,

Laut pochet sein Herz in der keuchenden Brust und er fühlt vom Durste sich plagen.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_652.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)