Seite:Badisches Sagenbuch II 604.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Der fromme Lukas.

In jener goldnen, sonnenlichten Zeit,
Wo noch die Englein freundlich uns umschwebten,
Nur Liebesklänge durch die Fluren bebten,
Wo sternenhell, in stiller Einsamkeit,

5
Die Tugend groß und hehr im Herzen blühte,

Und Gottes Geist die Menschenwelt durchglühte; –
Schon viele hundert Jahr’ sind hingefloh’n; –
Da lebte, an bekränzten Moosaltären
Den eingebornen Gottessohn,

10
Den Menschenheiland, brünstig zu verehren,

Der fromme Lukas. Buchenzweige woben
Zum Gotteshaus ihr schattenkühles Dach.
Fern hörte man des Neckars Welle toben,
Und zu dem lauten Wogenschlag

15
Scholl mächtig, mit dem Hall der goldnen Saiten,

Des Sängers Lied, wie heilig Glockenläuten.

Durchs ganze Land erscholl die süße Kunde,
Und wo ein Herz im wilden Drange schwoll,
Wo eine Brust war banger Zweifel voll,

20
Und keine Heilung fand die grause Wunde,

Da eilte man zu Lukas’ stiller Hütte;
Mit seinem Trostwort schwebte Himmelsruh’
Und Friede den zerrissenen Seelen zu;
Und fröhlich wallte aus des Haines Mitte,

25
Was traurig und mit Schuld beladen war.

So wogte man dahin von Jahr zu Jahr;
Schon wehen Silberlocken um sein Haupt,
Die Wange bleicht, die matten Schritte wanken,
Der Winter naht, die Eiche steht, entlaubt,

30
Schon fühlt er mehr und mehr den Leib erkranken,

Es sinnt der helle Geist in stiller Freudigkeit
Grab, Tod und Ewigkeit – erhabene Gedanken!

Der Morgen flammt aus duft’gem Nebelschleier
In königlicher Herrlichkeit hervor;

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_604.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)