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Stieftochter nach drei Tagen wieder frei ließ. Mechtilde blieb aber nun nicht mehr im Schloß, sondern ging in den Wald, wo sie nicht weit von der Burg eine Höhle fand, die ihr recht wohl gefiel. Sie holte sich ihre Kleider, etwas Nahrung und Bettzeug, und begab sich an den einsamen Ort, den man vor Gebüsch und Strauchwerk noch nicht entdeckt hatte. Der Hirsch allein ging mit ihr, und kam täglich dreimal in’s Schloß in den Türniß oder Atzungssaal mit seinem Korbe und Jeder von dem Gesinde war gewohnt, ihm etwas Nahrung hinein zu legen, und wer ihm nichts gab, den stieß er an, bis er etwas erhielt. Das trug er dann alles getreu seiner Herrin zu und fristete so sieben Jahre der Mechtilde das Leben. Damit man aber die Höhle nicht finden sollte, so nahm der Hirsch jedesmal einen Umweg und machte einen Seitensprung im Hin- und Herweg, so daß man die Spur verlor. An der Höhle entspringt auch die Mechtildenquelle, die Winters nicht zugefriert und im Sommer eiskalt ist und niemals an Wasser abnimmt. Als Kind hatte einmal Mechtilde einem Pilger, der in’s heilige Land reiste, ein Geschenk gegeben, und aus Dankbarkeit ließ er ihr seine Kürbisflasche zurück, die Mechtilde mit in die Höhle nahm und die ihr der Hirsch an der Quelle füllte, so oft sie ihm winkte.

Der Ritter Bertram gewann im Turnier den ersten Preis, aber groß war sein Jammer, als er nach Hause kam und seine Tochter nicht fand, und Niemand ihm sagen konnte, wo sie hingekommen. Da gelobte er der Mutter Gottes eine schöne Kapelle zu bauen, wenn er die Gnade haben könnte, seine Tochter Mechtilde noch einmal zu sehen. Er ließ sie überall suchen, aber umsonst; man entdeckte keine Spur von ihr. Seine Frau Clotilde war aber seit seiner Abreise nach Wien siech geworden, und Niemand konnte ihr helfen. So litt sie schon sieben Jahre die bittersten Schmerzen, aber zuletzt gestand sie ein, daß sie die Mechtilde aus dem Schloß vertrieben habe. Darauf starb sie, und Bertram ließ sie in dem Dorf Wolkenhausen bestatten, wo ihr Familienbegräbniß war.

Eines Sonntags frühe hörte man den Hirsch entsetzlich schreien und sah ihn bei Wolkenhausen sich jämmerlich gebärden. Herr Bertram befahl einem Knappen, nachzusehen, und der fand

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_596.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)