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aber in ihrer Seele wohnte doch ein festes Vertrauen, daß ihn der gute Gott ihr erhalten werde. Eines Abends meldete sich ein Pilger auf Stolzeneck und bat um Herberge. Williswinde nahm ihn freundlich auf und da er vorgab, aus Palästina zu kommen, setzte sie ihm selbst den Abendimbiß vor und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Sein langer Bart und der kecke Blick gaben dem Pilger etwas Unheimliches, aber das Fräulein suchte diesen Eindruck zu bemeistern, wußte ja doch der fremde Mann so viel zu erzählen von den Drangsalen, so ihm widerfahren auf der langen Reise, daß ihr inniges Mitleid rege wurde. Sie ließ ihm des andern Tages noch ein beträchtliches Geschenk zum Abschied reichen und sah ihm lange sinnend nach, als er über den Schloßhof und die Zugbrücke dahin schritt. Als sie wieder aufblickte, stand der alte Eberhard, der Kastellan ihres Vaters, ein getreuer, wohlerprobter Diener, neben ihr. „Fräulein,“ – sprach er zu ihr, nach dem schon fernen Pilger deutend, – „in jener Kutte steckt ein arger Schalk!“ – „Warum gleich so lieblos über einen Fremdling absprechen, weil sein Aeußeres etwas Unangenehmes hat?“ entgegnete Williswinde.

„Was die Augen sehen, glaubt das Herz.“ – versetzte der Kastellan. – „Ihr kennt ja die hübsche Mähr vom Meister Reinecke, der im Pilgerrocke nach Rom wallfahren wollte und den Esel und Widder beredete, ihm Gesellschaft zu leisten?“

„Was bringt Euch auf solche Gedanken?“

„Daß es mir nicht entgangen ist, wie der Fuchs, der in jener Kutte steckte, mit sammt Kürbißflasche und Muschelhut, alle Mauern und Thürme, Thore und Gänge unserer Burg ausspähte. Wir müssen uns wahrlich auf einen demnächstigen Ueberfall gefaßt machen.“

Williswinde konnte nicht an solche tückische Hinterlist glauben. „Wo hätten wir den Feinde?“ – sagte sie – „rings in der ganzen Gegend lebt ja Jedermann ruhig und friedlich auf seinem Besitzthume.“

Eberhard schüttelte den Kopf, beschloß aber fest bei sich, jedenfalls auf der Hut zu seyn und mehr Wachen auszustellen.

Einige Tage nach diesem Vorfall kam ein Ritter nach Stolzeneck und verlangte Williswinde zu sprechen. Beim ersten Blick

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_579.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)