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„Ihr alten Eichen, ihr müßt fallen!“ –
So ruft sie hochbegeistert aus –

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„An eurer Stätte tragen Hallen

Und schlanke Säulen bald ein Haus,
Das, wechselnd in der Zeiten Drange,
Erglänzen wird in stolzer Pracht,
Und dessen Ruhm Jahrhundert lange

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Durchleuchten wird des Reiches Nacht.


„Doch Frühlingsluft weicht Sommersgluthen,
Dem Winter wird der Herbst zum Raub,
Allmächtig ist der Zeiten Fluthen,
Es reift die Frucht, es sinkt das Laub.

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So wird auch dieses Schloß zertrümmern,

Zerstäuben seine Herrlichkeit;
Doch seine Söhne werden schimmern
Im Glanze der Unsterblichkeit!

„Und wenn die rohe Kraft erlegen,

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Dann wird die Weisheit auferstehn,

Und fröhlich wird ihr reicher Segen
Durch dieses Thales Gründe wehn.
Erwachen wird ein edles Streben
In jedes guten Menschen Brust,

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In Harmonie löst sich das Leben,

Und selbst das Sterben wird zur Lust.“ –

So rief sie laut, und Ahnungsschauer
Durchrieselten die Seherin.
Wehmüthig rauscht, in tiefer Trauer,

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Der Wind durch ihre Eichen hin.

Sie ging, gebeugt von heilgen Sorgen,
Wohl tiefer in den düstern Wald,
Doch fand sie schon der nächste Morgen
Am Fuß des Hügels todt und kalt.

Heribert Rau.


1) Nach den alten Chroniken und der allgemeinen Volkssage wohnte zur Zeit der Brukterischen Seherin Belleda eine Jungfrau, Namens Jetta, auf dem Hügel, worauf jetzt das Heidelberger Schloß steht

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_555.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)