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Thale, wo jetzt die Kirche steht, ein Bauer, welcher einen einzigen Sohn hatte. Wie es heute dort noch gebräuchlich ist, so hatte auch dieser schon, in einem Nebenbau, seine Taglöhnerfamilie wohnen. Trotz dem Unterschiede des Reichen und Armen, des Herrn und Taglöhners, lebten sie miteinander in gutmüthiger, altdeutscher Redlichkeit. Des Bauern Sohn „Hansjörg“ entzweite sich mit seinem Vater, lief fort, und wurde Reichssoldat. Nach zwei Jahren erfuhr der Vater, daß sein verlorener Sohn in Straßburg diene und freute sich, daß sein Einziger noch bei Leben sey.

Auch die Familie des Taglöhners nahm herzlichen Antheil an der Nachricht; besonders aber des Taglöhners einziger „Jörgnickel,“ der treue Jugendgefährte des „Hansjörgs.“

Um diese Zeit träumte nun dem „Jörgnickel,“ daß er zu Straßburg auf der Brücke einen großen Schatz gefunden hätte. Morgens erzählte er diesen Traum seinem Vater, welcher aber, da er den großen Schatz nicht sah, nichts aus dem Traume machte. Allein der Vater wurde aufmerksamer, als ihm der Sohn denselben Traum, am andern Morgen, abermals mittheilte. Bedenklicher wurde dem Vater die Sache, als er am dritten Morgen hörte, daß sein „Jörgnickel“ zum drittenmale dasselbe geträumt hatte.

Endlich besprach er sich mit seinem Sohne und sagte: „Höre! unsers Bauern Sohn, dein Kamerad „Hansjörg“ ist in Straßburg; wenn du dem Bauern sagtest, du wolltest seinen Sohn besuchen, so wird er dir gerne Geld und Fleisch, Brod und Käse mit auf den Weg geben. Findest du den Schatz, so werden wir glücklich, und findest du ihn nicht, so hast du doch Straßburg gesehen!“

Der Bauer horchte hoch auf und war über die Freundschaft zu seinem Sohn voller Freude. – Es wurde sogleich ein ganzer Zwergsack voll Dürrfleisch, Handkäse, Brod und auch Geld zusammengepackt. „Jörgnickel“ machte sich, von vielen Segenswünschen begleitet, auf den Weg und kam am dritten Tage bei Straßburg an. Anstatt des oft fürchterlichen: „Wer da?“ erscholl eine bekannte Stimme von dem Wachtposten: „Jörgnickel! grüß dich Gott!“ – Der Erstaunte sah richtig seinen Freund „Hansjörg“ mit der Hellebarte vor sich stehen.

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_470.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)