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Der Knabe steigt zum Thurm hinaus;

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Jetzt steht er bei dem Tannenstrauß,

Und als das Volk erwartend schweigt,
Er dreimal sich bescheiden neigt,
Beginnet laut und ohne Zagen
Den frommen Zimmerspruch zu sagen.

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Und drauf er mit dem Becher winkt,

Den er auf’s Wohl des Bauherrn trinkt.
Man schenkt den Becher wieder voll:
„Dem Ritter, der hier wohnen soll,
„Dem Kloster sei er Schutz und Wehre,

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„Dem Ritterstande Ruhm und Ehre!“


Die Bänder flattern um den Strauß;
Der Wind reißt manches mit hinaus.
Der Knabe sieht’s und bei sich spricht:
„Nimm alle, nur das eine nicht,

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„Das blaue Band, das Sie gegeben,

„Ich lass’ es nur mit meinem Leben.“

„Zum dritten Male schenkt mir ein!
„Der Becher gilt der Liebsten mein!
„Und wenn sie mich nicht minnen will,

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„Bleib’ ich doch treu, und minne still.

„Stehn auch zu hoch des Himmels Sterne,
„Labt doch ihr Blick in tiefer Ferne.“

Der Knabe spricht bewegt das Wort;
Da reißt der Sturm das Band ihm fort,

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Es fliegt vorbei, – er hascht darnach, –

Er beugt sich vor, – er stürzt ihm nach,
Im Sturze will er’s noch erfassen –
Er kann es nur im Tode lassen.

(Aus Grimm’s Werke: „Die Bergstraße etc.“)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_465.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)