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Wohl ist ein Himmel überm Grabe,

Den ich bisher geleugnet habe,
Wohl gibt es einer Hölle Schacht,
Worüber ich bisher gelacht –
Mein Sohn, mein Sohn! wenn du noch laben

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Mich willst in dieser schweren Stunde,

So schwöre mir: sobald begraben
Dein Vater ruht im kühlen Grunde,
Gleich in der nächsten Mitternacht
Zur Pyramide hinzugehn

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Dort auf dem Markt, und mit Bedacht

Und scharfem Blick daraus zu sehn,
Ob nicht mein Geist dir dort erscheine,
In welcherlei Gestalt es sey.
Erblickst du ihn, so waren meine

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Verfechtungskünste, daß es keine

Fortdauer für die Seele gebe,
Nur hohle Selbstbetrügerei,
Wirrphilosophisch Hirngewebe;
Doch siehst du nichts, dann glaube frei:

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Daß Alles mit dem Tod vorbei.“ –


Der Sohn gelobt’s und als den Sarg
Des Vaters schon der Friedhof barg,
Hält in der nächsten Mitternacht
Er bei der Pyramide Wacht;

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Auf einmal sieht, auf deren Gattern

Er eine schwarze Taube flattern,
Die ruft – er hört’s mit Angst und Beben –:
„Wohl gibt’s, mein Sohn, ein höh’res Leben,
Wenn unser irdisch Auge bricht!

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Laß’ nicht vom Wahn dich mehr umweben,

Daß droben nicht ein streng Gericht
Einst über uns das Urtheil spricht;
Bekehre dich, noch ist es Zeit
Zum Glauben an Unsterblichkeit!” –

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Entflattert ist die schwarze Taube –

Der Sohn wirft nieder sich im Staube

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)