Seite:Badisches Sagenbuch II 314.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Erstgebornen auf dem Schooß, in ihrem Klosett, als ihr Gatte mit traurigen Mienen herein trat und sagte: „Ich habe dir eine schlimme Post zu bringen. Unser Schwager, der Graf, hat, nachdem er sein ganzes Vermögen in Saus und Braus durchgebracht, sich mit einer Schaar von Raubrittern verbunden und bereits solche Gewaltthätigkeiten mit ihnen auf den Heerstraßen verübt, daß sich der Kaiser genöthigt sah, ihn in die Acht zu erklären. Wie es heißt, soll er sich nun nach Frankreich geflüchtet haben.“

„Und Rosaura?“ – rief Irene voll schmerzlicher Besorgniß. – Ihr Gatte hatte nicht erfahren können, welch ein Loos ihre Schwester getroffen. – Aber als Irene gegen Abend, ihren Säugling im Arm, unter den Linden im Hofe saß, kam eine müde Pilgerin, ärmlich gekleidet und die Spuren tiefen Grames im bleichen Angesicht, auf sie zugewankt: es war Rosaura, die nun als Bettlerin vor der wegen ihrer Anspruchslosigkeit oft bespöttelten Schwester stand, verlassen von ihrem Gatten, hinausgestoßen in die fremde Welt, ohne Obdach, ohne Brod für sich und ihren Kleinen. Irene schloß unter Thränen des innigsten Mitleids die unglückliche Schwester in ihre Arme und bat sie, bei ihr zu bleiben und ihr stilles häusliches Glück mit ihr zu theilen, was Rosaura mit überströmendem Danke annahm. Von Eudoxia’s Schicksal hatte sie keine Kunde. Aber wenige Monate später traf der Ritter vom See ganz unvermuthet auf der Burg seines Schwagers ein und erzählte, wie Eudoxia, leichtsinnig ihrer Pflichten als Gattin vergessend, seiner Ehre so wenig geschont habe, daß er sich genöthigt gesehen, die Treulose in ein Kloster zu sperren. Diese Nachricht war ein neuer schmerzlicher Schlag für Irenens gefühlvolles Herz und sie suchte nun um so sorgfältiger in ihren Kindern den einfachen häuslichen Sinn, durch den sie selbst so glücklich geworden war, zu wecken und zu erhalten.

(Siehe Al. Schreibers „Sagen aus den Rheingegenden etc.“)
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_314.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)