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„Und dennoch“ – fuhr der Pilger fort – „hab’ ich mehr als Einmal mit ihm gezecht. Indessen laßt ab, nach Dingen zu forschen, die Euch unbegreiflich vorkommen und folgt meinem Rathe. Heute ist Walpurgisnacht. Sobald die Glocke Mitternacht schlägt, begebt Euch hinunter in die Kapellengruft, worin Eure Väter beigesetzt sind, öffnet ihre Särge und tragt die Gebeine hinaus in das Freie, damit der Mond sie bescheine. Während sie nun draußen liegen, kehrt Ihr sodann in die Gruft zurück und holt die Kostbarkeiten aus den Särgen, was kein Hinderniß seyn kann, sobald die Todten davon entfernt sind. Nachher mögt Ihr die Gerippe wieder in ihren Särgen zur Ruhe bringen.“

Den Ritter überlief es ganz kalt bei diesem Vorschlage, aber seine Begier nach Reichthum und Lebensgenüssen war so groß, daß sie bald alle seine Furcht überwog. Um Mitternacht begab er sich in die Kapelle, bis zu deren Eingang der Pilger ihn begleitete, dort stehen blieb und sich beharrlich weigerte, das Innere derselben zu betreten.

Der Ritter öffnete die Särge, einen nach dem andern, und trug, wie geheißen, sämmtliche Gebeine hinaus auf einen hell vom Vollmond beschienenen Rasenplatz. In dem Sarg aber, den er zuletzt aufschloß, fand er den noch unverwes’ten Leichnam eines Kindes liegen. Als er auch dieses hinaustrug und zu den übrigen Todten gesellen wollte, richteten sich Alle mit einem Mal empor und riefen mit hohler Stimme: „Augenblicklich trag uns in unsre Ruhestätten zurück, damit wir nicht umgehen müssen auf dieser Burg!“

Kaum war die Schreckensmahnung ergangen, als der Fremde vor dem Ritter stand. Das Pilgergewand rauschte von seinem Leibe nieder und er wuchs empor, höher und immer höher, bis sein Haupt, dessen Haare wie Flammen loderten, den Mond zu berühren schien. Schon streckte die furchtbare Riesengestalt ihre gespreizten Krallen nach dem Ritter aus, dessen Blut zu Eis gerann, da regte sich der Leichnam des Kindes, das er noch auf seinen Armen trug, eine Glorie umfloß das feine Gesichtchen und von seinen Lippen ertönten die Worte: „Fliehe, verworfener Geist des Abgrunds! Dieser Verblendete hier soll nicht

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_243.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)