Seite:Badisches Sagenbuch II 236.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Ich pflege hier öfters zu weilen;“ – erwiederte die Gestalt; – „unter diesem Kreuze schlummert mein einstiger Verlobter, welcher durch die Hand eines Nebenbuhlers fiel.“

Der Ritter sprach ihr so tröstend zu, daß die Jungfrau leicht eine mehr als gewöhnliche Theilnahme aus dem Tone seiner Worte heraushörte und sich bald in ein lebhaftes, nichts weniger als wehmüthiges Gespräch mit ihm verflocht; ja, sie nahm sogar ohne langes Sträuben den Antrag an, den er ihr zuletzt machte, ihm auf seine Burg zu folgen. Das Abenddunkel hatte seine Blicke nicht getäuscht, denn bei näherer Betrachtung blühten ihm aus dem düsteren Trauerflore, in den sie gehüllt war, die herrlichsten Formen entgegen, und je länger er an ihrer Seite wandelte, desto liebenswürdiger schien ihm seine neue Bekanntschaft. Doch als sie erst, auf seiner Burg angelangt, im Gemache beim hellen Kerzenschein ihren Schleier gänzlich zurückschlug, da entbrannte sein Herz in fast wahnsinniger Liebesgluth, denn ein wundervolleres Antlitz hatte sein Auge noch nie geschaut.

Es war schon spät Abends und im Laufe ihrer zärtlichen Unterredung hatte die Schöne bereits mehrmals etwas ängstlich geäußert, sie müsse pünktlich um Mitternacht wieder zu Hause seyn. Der Ritter verhehlte ihr die rechte Stunde und suchte sie auf alle Weise zu zerstreuen. Auch spielte sie nichts weniger als die Spröde gegen seine glühenden Liebkosungen. Als die Uhr in der Nebenkammer Mitternacht verkündigte, schloß er sein Liebchen, damit es die Glockenschläge überhören sollte, noch fester in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit stürmischen Küssen. Aber kaum waren die Schläge der Uhr verklungen, als plötzlich des Mädchens Lippen unter den seinigen eiskalt wurden, die Rosen ihrer Wangen einer tödtlichen Blässe wichen, die leuchtenden Liebessterne verloschen und tief in ihre Höhlen sanken. – Der Ritter hielt eine kalte, starre Leiche in seinen Armen.

Außer sich vor Entsetzen bringt er sie auf sein Lager und wendet alle Mittel an, sie mit Hülfe seiner herbeigerufenen Dienerschaft ins Leben zurück zu rufen. Vergebens! Es bleibt ihm nichts übrig, als die Anstalten zu ihrem Begräbnisse treffen zu lassen, das auf den Abend des nächsten Tages festgesetzt

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_236.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)