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lange ihn meine Hand nicht berührte“ – sagte die Jungfrau – „doch will ich gerne dein Werk fördern, wenn du mir gelobst, aus den Brettern auch eine Wiege zu zimmern und dein erstgebornes Kind hinein zu legen.“

Nach kurzem Erwägen, daß in Erfüllung dieser Bitte nichts Gefährliches liegen könne, gelobte der Jüngling, so zu thun.

Die Jungfrau berührte nun den Stamm und nach wenig Minuten fiel er unter den Streichen der Axt zu Boden, aber in demselben Augenblicke war auch die Erscheinung verschwunden.

Der Bauer hielt sein Versprechen und legte, als ihm sein Weibchen nach einem Jahr ein Knäblein geboren, das Kind in die aus den Brettern des Ahorns gezimmerte Wiege. Als seine Frau eines Tages bei derselben saß und den Knaben darin schaukelte, trat auf einmal die Jungfrau in die Kammer herein, ein dürres Zweiglein in der Hand tragend. Sie betrachtete das Kind eine Weile und faltete dann die Hände zum stillen Gebet. Hierauf reichte sie der erstaunten Mutter das Zweiglein und sagte: „Bewahret sorgsam, was ich Euch hier übergebe. Sobald Euer Sohn das fünfzehnte Jahr zurückgelegt hat, soll er den Zweig in reines, frisches Wasser stellen, und wenn dieser dann Blätter und Blüthen treibt, hinaufgehen auf die Altenburg und mit demselben den gegen Morgen stehenden runden Thurm berühren, dessen Eingang verschüttet ist. Dies wird sowohl zu seinem Lebensglücke, als zu meiner Erlösung dienen.“

Die Mutter des Knaben, eine fromme gottesfürchtige Frau, war froh darüber, daß ihr Kind bestimmt seyn sollte, einem irrenden Geiste zur ewigen Ruhe zu verhelfen. Der Knabe wuchs heran in Zucht und Ehrbarkeit, und als er das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, stieg er hinauf zu den Ruinen und berührte den Thurm mit dem nun von Blättern und Blüthen prangenden Zweige. Da öffnete sich alsbald der verschüttete Eingang und die schwarzgekleidete Jungfrau stand vor ihm. „Wohl dir und mir!“ – rief sie aus – „daß endlich diese Stunde gekommen! Ich war einst jung und schön, die einzige Erbin meines Geschlechtes und einem jungen Ritter verlobt, an dem ich mit abgöttischer Liebe hing. Allein er brach die mir geschworene Treue und gab seine Hand einer Anderen. Bald aber fand er den Tod auf dem Schlachtfelde, seine Burg wurde

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)