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eppichumrankten Mauern, aus deren Ritzen kreischend einiges Nachtgeflügel aufrauschte. Endlich ward er in einem der Gemächer ein Licht gewahr und stieg die lange Wendeltreppe hinauf, so gut er konnte, nach der Richtung dieses Schimmers seinen Weg längs der feuchten Wände hin sich heraustastend. So gelangt’ er in den alten Rittersaal und sah zu seiner höchlichen Verwunderung an einem Tische, worauf eine Lampe flackerte, ein Mägdlein sitzen, das Haupt in die Hand gestützt und so tief in Gedanken versunken, daß sie den Eintretenden gar nicht bemerkte. Der Schein der Lampe fiel gerade auf ihr engelschönes, von glänzenden schwarzen Locken umwalltes, aber schneebleiches Antlitz. Des Ritters sittige Begrüßung weckte sie aus ihren Träumen, langsam erhob sie das Haupt und erwiederte seine Anrede blos mit einem wehmütigen Nicken. Als er seine Bitte um ein Nachtlager vorgebracht, stand sie auf, holte Wildbrät und Geflügel nebst duftendem Weine herbei und gab dem Fremdling durch Zeichen zu verstehen, er solle sich’s wohl munden lassen. Der junge Ritter, hungrig und müde wie er war, ließ sich nicht lange zu der Mahlzeit nöthigen, sondern nahm behaglich Platz auf einem gepolsterten Lehnstuhle und that den Gerichten wie dem Becher alle Ehre an, vermißte jedoch Brod und Salz, ohne den Muth zu haben, darum zu bitten, denn es kam ihm Alles doch etwas unheimlich vor, besonders da bisher noch kein Laut über die Lippen seiner schönen Wirthin gegangen war. Bald regte jedoch der feurige Wein seine Lebensgeister auf und er versuchte nun abermals die rätselhafte Jungfrau in ein Gespräch zu ziehen.

„Ihr seyd wohl die Tochter dieses Hauses, mein Fräulein?“

Sie nickte, stumm wie zuvor.

„Und Eure werthen Eltern?“

Sie deutete nach ein paar alten Bildnissen in verschossenen Rahmen an der Wand und flüsterte mit tonloser Stimme: „Ich bin die Letzte meines Stammes.“ Das Herz des jungen Ritters, durch dessen Adern der genossene Wein wie Lava rollte, entbrannte mehr und mehr von den reizenden Formen der geheimnißvollen Schloßherrin und zugleich stieg der Gedanke in ihm auf: „Du bist arm, wer weiß, ob du nicht durch die Hand dieser reiche Erbin dein Glück machen kannst?“

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)