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Nun fingen die Kinder beide zu weinen an und das ältere versetzte nach einer Weile:

„Wohl bin ich ein Mägdlein und heiße Imma von Erstein, und Dieser ist mein Bruder. – Unser Oheim, der Dechant von Straßburg, der uns bis jetzt so väterlich erzogen, liegt nunmehr gefangen dort oben auf der Windeck, und wir wollen den Burgherren bitten, daß er ihn freigebe.“

„Bringt ihr denn Lösegeld?“ frug die Alte.

„Ach!“ – erwiederte die Jungfrau, ein mit Diamanten besetztes Kreuzchen aus dem Busen ziehend – „ich besitze nichts als dieses Kleinod, eine Reliquie von meiner seligen Mutter! Aber wir wollen den Windecker bitten, daß er uns Beide als Geißeln behalte, bis der Ohm sich gelöst haben wird.“

„Seyd nur getrost, meine Lieben!“ – sagte das Waldweiblein, der Jungfrau die Locken aus dem Gesichte streichelnd – „Ich selber will den Dechant loskaufen. Hört mich, Kinder! Die Straßburger werden ehestens anrücken und die Burg Windeck belagern. Doch die vergangene Nacht hab’ ich es zweien Kundschaftern abgelauscht, die sich hier im Dickicht versteckt hielten. Sie hatten die Gelegenheit der Burg vollständig ausgespäht und besonders die schwache Seite bemerkt drüben am Tannenwald, wo das steinerne Todtenkreuz steht. Geht nur hinauf zum Junker Reinhard, dem Sohne des Windeckers, und sagt ihm, er solle dort an jener bloßgegebenen Stelle einen tiefen Graben aufwerfen lassen, und das noch heute so schnell als möglich, denn ich fürchte, die Feinde möchten schon in dieser Nacht heranziehen.“

„Aber wird der Ritter auch unsern Ohm freigeben?“ – fragten die Kinder.

„Ich geb’ euch ja ein Lösegeld mit!“ – erwiederte die Alte und klatschte dreimal in die hageren Hände. Siehe, da kamen von allen Seiten ihre weißen Hühner herbeigeflogen und getrippelt. Sie ergriff eine derselben und gab sie dem Mägdlein mit den Worten: „Diese Henne da bring’ dem Ritter Reinhard auf Windeck; dann wird er den Dechant freigeben.“

Die Kinder schauten sie verwundert an.

„Thut nur nach meinem Geheiße!“ – fuhr die Alte fort – „der Ritter soll die Henne, so bald die Sonne heut’ untergegangen

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)