Seite:Badisches Sagenbuch II 105.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

begann mich ganz heimisch zu fühlen in ihren Waldesschatten. Die Berghänge mit ihren dämmrigen Hallen, getragen von den schlanken Stämmen der düstern Schwarztannen und überwölbt von lichtgrünen Buchenzweigen; die tausend und wieder tausenderlei Stauden, Kräuter, Moose und Flechten mit ihren Blüthen, Beeren, Samen und Früchten, die zwischen und über dem Steingeröll üppig wucherten und nicht selten ein undurchdringliches Gestrüpp bildeten, oder den Boden gleich dem herrlichsten Teppich überzogen; die gewaltigen Granitmassen und das zerklüftete Gestein, die an den Bergwänden hervortraten; die zerrissenen Felsschluchten, von kristallklaren Quellen durchzogen, begrüßten mich traulich, wie einen alten Bekannten, und die ganze Natur umher sprach zu mir und erzählte von Zeiten und Ereignissen, die weit hinausreichen über alle Geschichte. Hier erst ward es mir klar, wie die Sehnsucht nach der Heimath den Sohn des Gebirges im innersten Leben erfassen kann, bis das ungestillte Weh das Herz ihm bricht.

Als ich nach etwas mehr als zweistündiger Wanderung den Grat eines langen Bergrückens erstiegen, lag vor mir auf einer abgeflachten Einsenkung der Berge das einsame Gebirgsdorf Herrenwiese, dessen unbedeutende Feldmark ringsum von waldumkränzten Gebirgsköpfen umzogen wird. Das Dorf ist arm und seine Bewohner erwerben ihren Unterhalt meist durch Holzfällen in den benachbarten Waldungen, während sie ihren Bedarf mit vieler Mühe aus weit entfernten Orten herbeischaffen müssen. In der einzigen, eben nicht sehr einladenden Schenke des Ortes nahm ich kein glänzendes, aber ein nahrhaftes Frühstück zu mir, und schritt dann rüstig weiter.

Von hier führt der Pfad eine Zeit lang fast eben fort, immer zwischen Waldungen hin, an deren Saum der gelbe Enzian blüht und die rothe Preisselbeere allenthalben aus der grünen Bodendecke hervorglänzt. Bei der Hundseck, einer einsamen Waldwohnung, ging es wieder steil den Berg hinan und ich erreichte nicht ohne Anstrengung die Höhe des Hochkopfes, der sich in einem endlos langen Bergrücken südwerts zieht. Diese Höhe ist fast ganz von Bäumen entblößt, und nur das Haidekraut mit seinen rothen Blüthen deckt in üppiger Fülle den Boden, wo allenthalben mächtige Sandsteinblöcke zerstreut

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_105.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)