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ward, kam ein Knecht zu dem Ritter mit der Meldung heraufgeeilt, die Gefangene sey durch ein Loch, das in den Thurm gebrochen worden, entflohen.

Jetzt bemeisterte sich doch ein Bangen des Herzens des Burgherrn; als aber eine Magd mit der Nachricht erschien, Ida’s Bett sey leer und keine Spur von ihr zu finden, schlug er sich die Faust vor die Stirne und wüthete über sich selbst.

Das ganze Burggesinde und alle Reisigen wurden aufgeboten, die Gegend ringsum zu durchstreifen, jedoch alles Forschen blieb vergebens und sie kehrten niedergeschlagenen Herzens wieder zurück. Der Ritter gerieth in Verzweiflung, raufte sich das Haar und that Gelübde auf Gelübde, eine Kirche zu bauen, einen Theil seiner Güter dem Kloster zu schenken, ja selbst nach Einsiedeln zu wallfahrten, wenn ihm nur seine Ida, die er bei all seiner Härte doch zärtlich liebte, wiedergegeben würde. Endlich brachte ein Holzhauer die Kunde, daß er das Fräulein auf einer Felsenklippe, die noch Niemand zu ersteigen vermochte und die eine halbe Stunde von Bosenstein im Walde lag, bei dem gespenstigen Weiblein sitzen gesehen habe. Unverzüglich machte sich der Ritter mit seinen Leuten nach dem angegebenen Orte auf. Als das Weiblein die Ankommenden erblickte, nahm sie rasch Ida bei der Hand und verschwand mit ihr auf der Rückseite des Felsens. Der Ritter wähnte nun Alles verloren, doch als er mit vieler Mühe sich einen Weg durch das Gestrüppe hinter die Klippe gebahnt, fand er zu seiner freudigsten Ueberraschung seine Tochter auf einer Moosbank am Felsen schlummern und neben ihr zwei mit Laub überstreute hohe Körbe. Der Ritter dachte nicht anders als, sie seyen mit Gold angefüllt, als er aber die Hülle aufdeckte, glänzten ihm nichts als Steinkohlen entgegen und dabei lag ein Pergamentstreif mit den Worten: „Dem goldgieriger Ritter von Bosenstein!“

Das Weiblein aber ließ sich von diesem Tage an nirgends mehr blicken und die arme Ida vermißte lange Zeit mit schwerem Herzen die freundliche Gespielin ihrer Waldeinsamkeit und konnte sich kaum über ihren Verlust mehr trösten.

(Al. Schreiber’s „Sagen aus den Rheingegenden etc.“)
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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band . Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_071.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)