Neu will die Au’n der Sonne Schein verklären,
Das Wasser fällt und sanft hin wallt die Fluth;
Jedoch der Ritter ward nicht mehr gesehen.
Im Durbacher Thale sieht man noch im großen Stollenwald die Trümmer einer alten Burg; am Eingang des Thales aber erhebt sich links das Schloß Staufenberg. Von jener alten Burg geht folgende Sage:
Einst wohnte ein Amtmann zu Staufenberg, der hatte einen Sohn, Namens Sebald. Dieser liebte den Vogelsang und begab sich im Herbst oftmals an den Fuß des großen Stollenwaldes, um Maisen zu kloben. Da hört’ er einmal vom Berg herab so lieblich singen, daß er hinauf ging, um zu sehen, was es wäre. Auf dem Gipfel des Stollenberges ward er in einem Gebüsche ein wunderschönes Weib gewahr, das zu ihm sagte: „Erbarme dich meiner und erlöse mich; ich bin verwünscht, und harre seit langer Zeit auf dich; erhöre meine Bitte, du darfst mich nur dreimal dreifach küssen, so bin ich erlöst.“ Sebald fragte sie, wer sie denn sey? und sie gab zur Antwort: „Ich bin Himmel-Stollens Tochter, und heiße Melusine;[1] ich habe einen großen Brautschatz, und wenn du mich erlösest, so bin ich und der Schatz dein eigen. Du mußt mich drei Morgen nach einander, um neun Uhr in der Frühe, auf beide Wangen und auf den Mund küssen, dann ist die Erlösung vollbracht. Fürchte dich nicht, besonders nicht am dritten Tag.“ Sebald betrachtete Melusinen, die aus dem Busche hervorkam, sehr genau. Sie war blond, hatte blaue Augen und ein schönes Angesicht, aber an ihren Händen keine Finger, sondern eine trichterartige Höhlung, und statt der Füße einen Schlangenschwanz.
- ↑ Ein Ritter Hans Stoll von Staufenberg kommt in Sachs’ Bad. Gesch. II. 246, vor.
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band . Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)