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Recht zu wahren oder die flehende Unschuld zu schützen. Seine Tugend war felsenfest, seine Tapferkeit eines biedern Teutschen würdig. Sieben Töchter, die ihm seine Gemahlin während einer langen, glücklichen Ehe geschenkt hatte und die, schlanken Wuchses, hold und zart, worüber die Sittsamkeit ihren Lilienschleier goß, den Reiz der Mutter bekundeten, versüßten ihm den Wittwerstand und die sich allmälig zeigenden Beschwerden des Alters. Zum Dank für dieses ihm vom Himmel bescheerte Glück baute der Ritter jenes Kirchlein, welches er andächtig zu schmücken beschloß. Ehe dieses aber geschehen konnte, erscholl die Schreckenskunde, daß ein Schwarm der wilden Hunnen, deren furchtbaren Heer unter ihrem Anführer Attila wie ein verheerender Strom sich in die Rheingegenden wälzte, auch in das einsame Thal der Brege eingebrochen sey. Ein heißer Kampf entspann sich zwischen den Thalbewohnern und der räuberischen Schaar. Der Ritter, welcher mit seinen Treuen löwenmuthig focht, fiel, und über ihn hinweg rückte die mordende Horde zur Erstürmung des Schlosses, dessen unbeschützte Mauern sohin leicht überstiegen wurden. Wild durchtobten die Feinde die Hallen der Burg und drangen auch in den hochgewölbten Saal, wo sie die sieben Töchter des gefallenen Ritters vor einem Jesusbilde knieend fanden. Die Rohen, denen weibliche Tugend eben so wenig als Wehrlosigkeit galt, wollten sich der Jungfrauen zur Stillung ihrer frechen Lüste bedienen; doch auf das heiße Flehen der Bedrängten vor dem Bilde des leidenden Heilandes verwandeln sich plötzlich die Gestalten der sieben Schwestern in Engel, und vor dem Verklärungsschein der Himmlischen beben die Hunnen zurück, jene aber schweben ungefährdet durch die Reihen der Feinde singend aus dem Schloßthore zum Kirchlein hinüber, das, von unsichtbaren Händen geöffnet, sie aufnimmt und sogleich wieder fest sich verschließt. Von Angst gedrängt und Schauer umflossen gedenkt die so eben noch zügellose Rotte nicht mehr an die Ausführung ihres ruchlosen Vorhabens, sondern flieht, wie von Rachegeistern verfolgt, aus dem Thale.

Das Ritterschloß mit seinem Eichen- und Lindenkranze ist im Verlauf der Zeit gefallen, doch das Wunderkirchlein steht noch und oft hört in stillen Nächten der einsam Vorbeiwandernde

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)