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Burgherr die Geschichte vom Kirschbaum erzählte und mit lebendigen Farben die Seelenangst und das Entsetzen des armen Kaspars schilderte. Einige meinten, man solle doch nachsehen lassen, ob er noch nicht angespannt habe, um den bedungenen Nachtisch heraufzuführen; eine fürwitzige Dirne wollte sogar den Kopf zu einem Fenster hinausstrecken, aber da faßte der Wind die Flügel desselben und schlug sie mit solcher Heftigkeit zu, daß die Glasscherben im ganzen Saale herumflogen. Jetzt begann es doch Manchem unheimlich zu werden, aber Keiner vermochte sich von der Stelle zu bewegen und Jeder fühlte sich wie verzaubert in dem Saal festgebannt.

Plötzlich fing der Thurmwart aus allen Kräften an, Sturm zu blasen und ein Knecht stürzte mit verstörtem Angesicht und der Nachricht herein, man höre vom Walde herauf Pferdegetrappel und sehe viele Lichter sich dort hin und her bewegen. Schon wollte der Burgherr voll Zorn über eine solche Störung seines Festes sich aufmachen, als ein Windstoß alle Fenster auf Einmal aufriß und alle Lichter wie mit Einem Schlage ausgelöscht wurden. Während nun solcherweise im Saale dunkle Nacht herrschte, ward es außerhalb der Burg und im Thale drunten um so heller. Blitze kreuzten sich unaufhörlich nach allen Richtungen, dabei rollte der Donner, als bräche das Weltgericht herein und der heftigste Sturm, wie man noch keinen erlebt, schien den ganzen Wald entwurzeln zu wollen. Das Grausigste aber für die Gesellschaft war, was sie jetzt auf dem Acker des armen Kaspar von Weitem erblickte. Dort stampften vier rabenschwarze Rosse ungeduldig vor einem großen Wagen, und hundert Riesenarme, die aus der Erde hervorkamen, schienen damit beschäftigt, einen Baum auf denselben zu heben. Die Früchte von diesem Baume aber waren ganz feurig, wie Karfunkel, und nicht zu zählen; übrigens sahen sie ganz den Kirschen gleich. Endlich gelang es den vielen Riesenarmen, den Baum mit sammt den Wurzeln auf den Wagen zu bringen und nun schwang sich ein, wie der arme Kaspar gekleidete Kutscher auf den Bock und voran gings den Berg herauf in raschem Galopp. Der Burgherr zwang sich umsonst zu lachen und seinen Genossen Muth einzuflößen, allein er brachte nur ein widriges Grinsen und unverständliches Gemurmel hervor.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagenbuch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_340.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)