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Der todte Zeuge.

Im siebenten Jahrhundert kam der heilige Fridolin aus Schottland an den Oberrhein, um auch in diesen noch heidnischen Gegenden die Lehre des Kreuzes auszubreiten. Auf einer grünen Aue, da wo jetzt die Stadt Säckingen sich erhebt, ließ er ein Kloster und ein Kirchlein erbauen. Die Landschaft umher gehörte zwei adeligen Brüdern, Namens Urso und Landolph. Ersterer schenkte zum Heil seiner Seele und mit des Bruders Einwilligung all seine Besitzungen dem Kloster und widmete den Rest seiner Tage frommen Bußübungen. Nach seinem Tode riß jedoch Landolph, über den die, so lang Jener noch lebte, unterdrückte Habsucht nun Meisterin geworden war, gewaltsam Alles wieder an sich, was der Verstorbene der Kirche geschenkt hatte. Da trat Fridolin unerschrockenen Herzens vor sein Angesicht und sprach: „Gib Gott zurück, was Gottes ist und laß ab vom unrechten Gut, denn sonst wird es dir und deinen Kindern nur Unheil zur Frucht tragen.“ „In acht Tagen“ – höhnte Landolph ihm entgegen – „hält der Gaugraf ein Geding im Rheinthal zu Rankwil; dort wollen wir unser Recht suchen, und kannst du meinen verstorbenen Bruder als Zeugen stellen, so begeb’ ich mich all’ meiner Ansprüche!“

Da machte sich Fridolin auf und ging nach Glarus in die Schweiz, wo Landolphs Bruder, Urso, in einer Einsiedlerkapelle begraben lag. Dort warf er sich nieder zum Gebet, schlug sodann mit seinem Stabe dreimal aus die Platte der Gruft und rief: „Urso! Urso! Du bist zu Gericht geladen von deinem Bruder! Säume nicht zu erscheinen zur gesetzten Stunde, um mir als Zeuge beizustehen, damit kein Fluch deinen Namen und deine Ruhe bedrohe!“

Zu Rankwil saß am bestimmten Tage der Landgraf mit seinen zwölf Schöffen, um öffentliches Gericht zu halten. Fridolin und Landolph traten vor seinen Stuhl und brachten ihre Klagen und Einreden vor. – „Mein verstorbener Bruder hat keine Schrift über die Vergabung seiner Ländereien an’s Kloster ausgestellt; nur sein eigenes Zeugniß kann hier gelten. Der ehrwürdige Vater Fridolin soll ihn also stellen, damit er Red’ und Antwort gebe!“

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagenbuch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)