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starb plötzlich an einem Stickfluß, wie man aussprengte, und wenige Monate nachher führte der Ritter Fräulein Amina zum Altar. Der kleine Hugo, welcher jetzt ungefähr vierzehn Monate alt war, wurde den Händen einer Wärterin anvertraut. Diese kümmerte sich nicht sonderlich um die Pflege des Knaben; wenn er des Nachts weinte, so blieb sie ruhig liegen, oder stieß Scheltworte gegen das unschuldige Kind aus. Einst däuchte ihr, sie höre die Wiege gehen, worin das Kind schlief; sie richtete sich auf im Bette, und gewahrte mit Schrecken eine weißgekleidete weibliche Gestalt, ganz der verstorbenen Kunigunde ähnlich, die an der Wiege saß und das Knäblein schaukelte. Nach einer Weile nahm die weiße Frau das Kind auf den Schoos, drückte es an ihr Herz, legte es dann wieder in sein Bettlein und verließ das Gemach, als eben der Hahn den Tag verkündigte. Die Wärterin gab dem Ritter und seiner Gattin Nachricht von der Erscheinung. Lutz schalt sie eine Närrin, obgleich er sich bei der Erzählung eines geheimen Schauers nicht erwehren konnte, Amina jedoch gerieth auf den Verdacht, Kunigunde sey nicht wirklich vergiftet, sondern irgendwo eingesperrt worden, und habe Mittel gefunden, zu ihrem Söhnlein zu kommen. Von Argwohn und Zorn getrieben, nahm sie gleich in der folgenden Nacht die Stelle der Wärterin ein. Eben schlug die Glocke zwölf, als der kleine Hugo zu wimmern anfing und zugleich die weiße Gestalt in das Zimmer trat und sich an die Wiege setzte. Der Mond warf sein Licht durch das Fenster und Amina erkannte Kunigundens Züge; sie sah todtenbleich aus, legte aber freundlich und mit mütterlicher Besorgtheit dem Kleinen die Kissen zurecht. Wüthend sprang Amina vom Lager und wollte die Gestalt beim Arme fassen, aber der Arm zerfloß unter ihrer Hand in Luft. Die weiße Frau erhob sich vom Sitze und drohte ihr mit dem Zeigefinger, dann nahm sie das Kind und trug es im Gemach auf und ab. Amina’s Blut gerann zu Eis. Zitternd floh sie, und als der Ritter des Morgens erwachte und nach ihr fragte, gab man ihm ein Brieflein, folgenden Inhalts:

„Ich habe Kunigundens Geist gesehen und gehe in ein Kloster, um für meine und Deine Sünden zu büßen. Thue desgleichen.
Amina.“
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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagenbuch 1. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_118.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)