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Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38)

da ja auch der Ausspruch: „wie in einem Spiegel,“[1] wenn gleich nicht das eigentliche Wesen, so doch auf jeden Fall die Eigenschaft der Ähnlichkeit anzeigt. Wenn es aber nach dem wahrhaften Zeugniß der Schriftausleger eine übersinnliche Thätigkeit des heiligen Geistes und diese ein Theil von jener vollständigen ist, so ist also jenseits, neben der Thätigkeit des Geistes, welche durch übersinnliche Wahrnehmung zwischen ihm und ihnen vermittelt wird, in der Seligkeit der Heiligen nichts sinnlich Wahrnehmbares inmitten der übersinnlichen Dinge vorhanden, ausser jenen Urgründen,[2] welche Alles in seiner Bestimmtheit in sich einschließen, und, wenn wir uns so ausdrücken wollen, der Lichtausstrahlung, die wir aber nur als eine rein geistige auffassen dürfen.

Ein Liebhaber der Tugend ist nicht Derjenige, welcher nur eifrig Gutes thut, sondern der, welcher die damit verbundenen Leiden freudig auf sich nimmt.

Aber auch daß der Mensch um der Tugend willen geduldig Leiden ertrage, ist nicht etwas so Großes, als daß sein Geist nicht durch die Verlockung zu Lüsten von der Wahl seines guten Willens abwendig gemacht werde. Denn jede Reue, welche nach der Aufhebung der Willensfreiheit erfolgt,[3] bringt keine Freude hervor und wird auch dem Reuigen nicht als Verdienst angerechnet.

Halte die Fehler des Sünders verborgen, ohne dich selbst durch ihn in Gefahr zu bringen, und sprich ihm Muth ein, damit auch dich das Erbarmen des Herrn ertrage!


  1. I. Kor. 13, 12.
  2. Wahrscheinlich die den geschaffenen Dingen zu Grunde liegenden göttlichen Ideen oder das Bewußtsein Gottes von der möglichen und wirklichen Mittheilung seiner Vollkommenheiten an die Kreaturen. Die griechische Uebersetzung hat den ganzen Nachsatz weggelassen, offenbar wegen seiner Schwierigkeit.
  3. Soll wohl bedeuten: in einem späteren Lebensalter, in welchem jene Versuchungen von selbst aufgehört haben und es also keine Selbstüberwindung und Bethätigung der Willensfreiheit mehr erfordert, ihnen zu widerstehen.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_303.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)