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Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38)

So lange die Liebe zum Leib noch in dir mächtig ist, kannst du nicht herzhaft und furchtlos werden wegen der vielen Unannehmlichkeiten, die diesem geliebten Gegenstand fortwährend in den Weg treten.

Wer nach Ehren begierig ist, dem kann es nie an Ursachen zum Kummer fehlen. Es gibt keinen Menschen, dessen Geist nicht mit der Veränderung der Dinge auch selbst eine Veränderung nach der ihnen entsprechenden Seite hin erlitte.

Während aus den Sinnen an zweiter Stelle die Empfindung entspringt, wird aus dieser hinwiederum naturgemäß die Begierde geboren, wie es in der Schrift heißt.[1] Es mögen also Diejenigen schweigen, welche sich rühmen, daß sie mitten unter Zerstreuungen ihren Geist in Frieden bewahren könnten!

Derjenige ist keusch, welcher nicht nur die sündhaften Regungen (äusserlich) von sich abwehrt, um nicht im Kampfe zu unterliegen, sondern dessen unerschütterliche Herzensreinheit auch (innerlich) das Gepräge seines Geistes läutert, damit er sich nicht schmählich in unreinen Gedanken verliere. Und während die Zartheit seines Gewissens durch die Haltung seiner sorgfältig gehüteten Augen bezeugt wird, hängt die Schamhaftigkeit wie ein Vorhang vor der verborgenen Stätte seiner Gedanken, damit seine Reinheit gleich einer keuschen Jungfrau unversehrt für Christus bewahrt werde.

Nichts ist so geeignet, unreine Gewohnheiten aus der Seele zu entfernen und störende Erinnerungen, welche verwirrende Flammen im Körper entzünden, zu zügeln, als das Versenken in die Liebe zur Lehre und das Nachdenken über die Tiefen des Verständnisses der Schriftaussprüche.

Wenn dann die Gedanken sich in Wonne tauchen, indem sie der im (göttlichen) Worte aufgespeicherten Weisheit nachgehen, so läßt die Erkenntniß durch die Kraft, welche sie von dorther einsaugt, den Leib hinter sich zurück, da sie


  1. Vgl. Jak. 1, 14–15.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_294.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)