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Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38)

Treiben in sich zusammenfaßt und bei dem Worte des Lichtes verharrt, welches der Psalmist[1] im heiligen Geiste eine gerade Leitung auf den heiligen Wegen nennt.

Selten, vielleicht überhaupt nicht, findet sich ein Mensch, der Ehren ertragen könnte; und Dieses behaupten wir von dem Menschen als solchem wegen seiner leichten Geneigtheit zu Veränderungen, selbst wenn er in seinem Wandel einem Engel gliche.

Der Anfang des Weges zum Leben besteht darin, daß man den Verstand mit den göttlichen Worten beschäftigt und sich in der Armuth übt. Die Begießung aus jenen verleiht uns Kraft, daß wir in dieser zur Vollendung gelangen können. Wenn dann auch umgekehrt das in der Beobachtung dieser erlangte Wachsthum zu einem besseren Verständnisse jener anleitet, so führt die von beiden Seiten gegenseitig geleistete Hilfe schnell zur Aufrichtung des ganzen Gebäudes.

Niemand kann sich zu Gott nahen, wenn er sich nicht von der Welt entfernt. Mit dieser Entfernung meine ich aber nicht das Verlassen des Leibes, sondern seiner Sorgen.

Die Tugend besteht darin, daß der Mensch in seinem Geiste von der Welt entleert werde. So lange sich die Sinne um die äusseren Dinge kümmern, kann das Herz von den Vorstellungen derselben nicht zur Ruhe kommen. Die Leidenschaften des Leibes schwinden nicht, und die sündhaften Gedanken hören nicht auf, ausser in der Einöde und Einsamkeit. Denn so lange die Seele nicht im Glauben an Gott volle Genüge findet, indem sie die Empfindung seiner Kraft erlangt, heilt sie weder die Schwäche der Sinne, noch vermag sie kräftig die sichtbare Materie niederzutreten, welche gleich einem Zaune das Innerliche und Übersinnliche umschließt.

Die Vernunft ist die Ursache der Freiheit, und die Frucht Beider ist die Neigung. Ohne die erste ist die zweite nicht


  1. Vgl. Psalm 118, 105.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak von Ninive: Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive (Bibliothek der Kirchenväter, Band 38). Jos. Koese’lsche Buchhandlung, Kempten 1874, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BKV_Erste_Ausgabe_Band_38_292.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)