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jungen Fuchs ermahnt, ein tüchtiger Bursche zu werden. Wir befanden uns alle auf der Bühne und weideten uns an der Verlegenheit eines der unsren, dem er die Standrede hielt – damals ein zaghaftes, liebliches Füchslein mit angenehmem Mädchengesicht, heute ein wohlbestallter Regierungs- und Schulrat. Noch größer war der Jubel und die Ausgelassenheit, als Fräulein Sauerweid, eine Papierhändlerin in der Französischen Straße, in dem Benefiz des allgemein beliebten Komikers Pohl als „Tannhäuser“ in Wagners gleichnamiger Oper auftrat. So war es unter der Direktion des Geheimen Kommissionsrats Woltersdorff]. (K. H.)[WS 1]

Nach langen Jahren, als der Künstler hier in Hamburg, wo ich seit 1873 im Lehramt wirke, ein Gastspiel absolvierte, trafen wir uns wieder, und zwar ebenfalls bei einem Frühschoppen, zu dem sich an jedem Sonntage hiesige Künstler, Schriftsteller, Lehrer und andere in einer gemütlichen Weinstube zusammenfanden. Helmerding erkannte mich bei der Begrüßung sofort, erinnerte sich mit größtem Vergnügen jener Episode und der liebenswürdigen Aufnahme, die er damals bei den lustigen Königsberger Masuren gefunden, und erzählte manche Einzelheiten davon.

Was nun unsere Beziehungen zum Stadttheater überhaupt betrifft, das damals unter der Direktion des Kommissionsrats, spätern Geheimrats Woltersdorf stand, so genoß die Studentenschaft das Privileg, für ein Billet zum Stehparterre nur einen halben Gulden (60 Pfennige) bezahlen zu dürfen, und zugleich hatten wir Masuren und die Silberlittauer das altererbte Recht, je einen Kontrolleur aus unserer Mitte zu stellen, der abends an der Theaterkasse darauf achten mußte, daß kein Unbefugter sich etwa ein Studentenbillet zu lösen versuchte. Die mit diesem Amte Betrauten durften dafür dann das Stehparterre gratis [63] betreten, ein schätzbarer Vorzug, dessen auch ich mich längere Zeit erfreute.

Das mag jetzt wohl auch längst anders geworden sein, ebenso wie die innere Einrichtung des Zuschauerraums, in welchem das Stehparterre beinahe den dritten Teil einnahm, der natürlich hauptsächlich von Studenten gefüllt war. Allerdings galt das billige Entree für uns nur bei gewöhnlichen Preisen; wurden diese bei Gastspielen oder aus sonstiger Veranlassung erhöht, und hatten wir Gründe, die Mehrausgabe zu scheuen, so legten wir einfach Couleur ab, stülpten irgend einen Philisterdeckel auf den Kopf und stiegen zum Olymp empor, wo der Eintrittspreis immer nur einen halben Gulden betrug, und wo es sich im übrigen sehr gemütlich saß und man dabei alles sehr bequem sehen und hören konnte.

Noch von einem andern uns Studenten eingeräumten Recht machten wir im Theater mit besonderm Vergnügen Gebrauch, wie noch heute die Jenenser Studentenschaft bei der Aufführung von Schillers ,,Räubern“ in Weimar. Wurde nämlich das bereits erwähnte alte prächtige, so lebenswahre Studentenstück ,,Das bemooste Haupt“ von Benedix gegeben, so war stehender Brauch, daß wir Couleurstudenten uns in dem betreffenden Akt, in dem ein regelrechter Kommers abgehalten wird, im Farbenschmuck auf die Bühne begaben, um beim Kommers mitzuwirken und das Gaudeamus mitzusingen, in welches auch die etwa im Parterre zurückgebliebenen Kommilitonen kräftig einstimmten. Für das übrige Publikum war das natürlich immer ein Extravergnügen, besonders wenn wir Pseudoschauspieler da oben allerlei Ulk trieben, den der Verfasser des Stückes keineswegs vorgeschrieben hatte. Besondern Effekt machte z. B. der folgende. Die in der ganzen deutschen Theaterwelt bekannte und bespöttelte Knauserei Woltersdorfs äußerte

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Heinrich
Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 62–63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/7&oldid=- (Version vom 17.9.2022)