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Sorge befreite, was wir schließlich eigentlich mit ihr anfangen sollten. Der Neidenburger Gastwirt nämlich, bei dem wir abgestiegen waren, hatte Wohlgefallen an dem originellen Köter gefunden und erklärte sich gern bereit, sie bei sich zu behalten. Happy selbst schien damit auch sehr einverstanden und machte bei meinem Aufbruch keine Anstalten, mir etwa zu folgen und die Fleischtöpfe Ägyptens zu verlassen. Es soll ihr ja auch, wie wir später hörten, in Neidenburg dauernd gut ergangen sein und gefallen haben.

So wanderte ich denn wohlgemut in den schönen, frischen Morgen hinein; aber kaum hatte ich das Städtchen im Rücken, so holte mich die Briefkarriolpost ein, deren Postillon mich freundlichst aufforderte, zu ihm auf den Bock zu steigen und als blinder Passagier bis zu dem einige Meilen vor uns liegenden Kirchdorfe Jedwabno mitzufahren. Wer konnte dieser Lockung widerstehn! Zwar war es also zunächst wieder nichts mit der „Fußreise“, dafür kam ich aber desto schneller an mein Ziel. Natürlich belohnte ich den menschenfreundlichen Postillon anständig, wozu ich jetzt wieder reichliche Mittel besaß. Denn mein Bruder hatte mir von Passenheim eine Geldsumme nach Soldau gesandt, die mich nicht nur in den Stand setzte, meinen Teil an den von uns unterwegs gemachten Schulden abzutragen, sondern auch meine Reise ohne pekuniäre Sorgen abzuschließen. Dem freundlichen Postbeamten in Osterode hatten wir gleich von Soldau aus das uns so bereitwillig gewährte Darlehn mit Dank zurückerstattet.

In Jedwabno gegen Mittag angelangt, begab ich mich nach dem Pfarrhause, um unserm verehrten Philister Kob, einem der ältesten Veteranen der Masovia, der sich beim Stiftungsfeste durch sein jugendfrisches, herzgewinnendes Auftreten unsere Bewunderung und Zuneigung errungen, meinen Gruß [91] zu entbieten. Wie ich erwarten durfte, fand ich auch bei ihm und den Seinen einen herzlichen Empfang, mußte zum Mittagessen bleiben und als ich nachmittags zum Aufbruch rüstete, ließ der liebenswürdige alte Herr anspannen und schickte mich noch einige Meilen auf den Weg nach Passenheim, so daß ich bis dorthin nur noch etwa zwei Meilen zu wandern hatte. Auf diese gewaltige Strecke war also die in Königsberg ursprünglich großartig geplante „Fußreise“ schließlich zusammengeschrumpft!

Mit Einbruch der Dunkelheit langte ich endlich bei meinem Bruder an, der mich schon mehrere Tage ungeduldig erwartete. Bei ihm war ich wohlgeborgen und ruhte einige Wochen von den Strapazen unserer abwechslungs- und ereignisreichen, in jeder Beziehung aber wohlgelungenen Reise gründlich aus. Dann ging es zu Muttern nach Lötzen, und im Herbst in die Hauslehrerei, ins Ermland – damit zugleich ins Philisterland! Die goldne Burschenzeit lag hinter mir; aber aus ihr nahm ich fürs ganze Leben einen reichen unerschöpflichen Schatz köstlicher Erinnerungen mit mir, von denen ich nur einige hier festzuhalten versucht habe, um meinen Brüdern von damals, so weit sie noch unter den Lebenden weilen, in jene schöne Zeit zurückzuführen, und um der jetzigen und um den künftigen um das blau-weiß-rote Banner gescharten Generationen in unser damaliges Denken, Leben und Treiben einen Einblick zu geben. Mögen auch sie einst einen gleichen köstlichen Schatz ins Leben hinübernehmen, wie er jetzt noch mein Alter erheitert und verschönt!

Aber einen noch köstlicheren Gewinn verdanke ich, verdanken wohl noch manche andre mit mir jener unvergeßlich schönen Zeit: Die Bande echter, treuer, unlösbarer Freundschaft, die sich im gemeinsamen jugendfrohen Burschenleben knüpften und dieses überdauerten,

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 90–91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/21&oldid=- (Version vom 17.9.2022)