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machte; überall begrüßte man nicht nur ihn, sondern auch uns als willkommene Gäste und erquickte uns mit Speise und Trank.

So verging der Nachmittag und der Abend höchst angenehm und abwechslungsreich. Aber die Nacht brach herein und noch immer waren wir nicht an unserm Ziel, das wir eigentlich schon in wenigen Stunden hätten erreicht haben müssen; erst als der Morgen bereits graute, fuhren wir in das freundliche Städtchen Soldau hinein, das noch im tiefsten Schlummer ruhte. Natürlich durften wir nicht daran denken, um diese frühe Stunde etwa schon den Eltern Heinrichs ins Haus zu fallen; sondern wir suchten zunächst im ersten Gasthause der Stadt Unterkunft. Bevor wir jedoch vor demselben Halt machten, fuhren wir erst um das, mitten auf dem Markt gelegene Rathaus dreimal im Triumph herum. Im Hôtel Appolt warteten wir, teils ruhend, teils uns stärkend den Tag ab, und dann erst begab Heinrich sich ins Elternhaus, wohin er Ollech und mich nach einiger Zeit abholte. Freund Chef trat zugleich den Rückweg nach Hohenstein an, nachdem wir uns mit herzlichem Danke von ihm verabschiedet hatten.

Von Heinrichs trefflichen Eltern, die mir in ihrer rührenden Güte gegen uns unvergeßlich sind, mit väterlicher und mütterlicher Herzlichkeit empfangen, fühlten wir uns dort gleich wie zu Hause; Happy nicht minder, die sich mit größter Sicherheit bewegte, aber auch, wie überall, manierlich und liebenswürdig benahm, so daß sie bei jedermann wohlgelitten war. In diesem behaglichen Ruhehafen nun führten wir endlich wieder ein geregeltes, bürgerlich solides Leben, tranken wohl unsern Frühschoppen, verbrachten jedoch den Abend entweder im gemütlichen Familienkreise, oder Karl Heinrich besuchte mit uns seine Verwandten und näheren Bekannten. Unter letzteren [89] ist mir besonders eine interessante, originelle Persönlichkeit erinnerlich, ein pensionierter Hauptmann und Steuerbeamter, in Soldau glattweg „Der alte Hauptmann“ genannt, der Karl Heinrich in väterlicher Freundschaft zugetan war und dem dieser uns daher auch vorstellte. Der zwar bejahrte, aber noch jugendfrische, joviale Junggeselle fand, gleich dem alten Kautz in Hornsberg, ein großes Vergnügen an den Erzählungen von unsern Studentenstreichen, und da er selbst ebenfalls über einen reichen Vorrat von allerlei amüsanten Schnacken und Schnurren aus seinem eignen Leben verfügte, so verlebten wir im Zusammensein mit ihm einen sehr gemütlichen Vormittag.

Doch zu lange durften wir die Gastfreundschaft von Heinrichs Eltern nicht mißbrauchen; auch wurden ja Ollech wie ich an unsern eigentlichen Reisezielen längst erwartet. So machten wir uns denn nach mehrtägigem Aufenthalt in Soldau auf unsern weiteren Weg, aber wiederum nicht auf Schusters Rappen, wie wir eigentlich gemeint, sondern der treffliche Bierwirt Appolt schickte uns aus Freundschaft für Heinrich mit seinem Fuhrwerk nach Neidenburg, wohin dieser uns auch noch begleitete. Dort kehrten wir im ersten Gasthause ein, zitierten uns unsern lieben Philister Stoeckel, damals Rechtsanwalt in Neidenburg, herüber und saßen mit ihm, beim Gläschen Bier gemütlich plaudernd und Szenen vom letzten Stiftungsfest, das er auch mitgemacht, rekapitulierend, den Abend über zusammen. Dann kehrte Heinrich allein nach Soldau zurück; Ollech und ich blieben in Neidenburg zur Nacht, und in aller Frühe des andern Morgens griff ich zum Wanderstabe, um gen Passenheim zu ziehen, und trennte mich somit auch von den andern Reisegefährten, Ollech und Happy. Der letztern Geschick nahm hier eine entscheidende Wendung, die uns zugleich von der

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 88–89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/20&oldid=- (Version vom 17.9.2022)