Seite:Aus meiner goldnen Zeit 1857–60 (Vigouroux).pdf/19

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Stätte kamen, destomehr stockte unsre, vorher recht muntre Unterhaltung und bald waren wir in einen tiefen – natürlich geheuchelten – Schlaf verfallen, aus dem wir uns auch nicht aufrafften, als der Wagen vor der Schlagbaum hielt, und der Kutscher das ihm von seinem Herrn mitgegebene Chausseegeld aus der Westentasche hervorkramte. Erst eine Strecke weiter taten wir, als ob wir erwachten und fragten ganz harmlos, ob wir bald in Osterode sein würden: „In einer halben Stunde“ erwiderte der Kutscher, „ich fahre doch direkt vor der Post vor?“ „Natürlich“, lautete unsre, mit sicherster Miene gegebene Antwort. In der Tat war gerade die Post nach Heinrichs Plan die Stätte, von der uns Rettung kommen sollte; denn dort hoffte er, bei einem ihm von seiner Hauslehrerei in Döhlau her befreundeten Beamten ein offenes Ohr und die Hauptsache, eine offene Hand zu finden. Und wirklich war uns das Glück auch hier, wie in Pr. Holland hold. Denn als wir die Post betraten, saß der Betreffende am Schalter und begrüßte Heinrich sehr erfreut über das unverhoffte Wiedersehn. Dieser rückte nun ohne weiteres – denn der Kutscher wartete ja draußen – mit seinem Anliegen vor und der menschenfreundliche Herr ebenso ohne Zögern und bereitwilligst mit seinen Batzen heraus. So fühlten wir wieder sichern Boden unter den Füßen und beeilten uns vor allem, den Kutscher fürstlich zu belohnen und ihm natürlich auch das Chausseegeld zu ersetzen. Dann ging es mit der Post nach Hohenstein, um unserm dort wohnenden Philister, dem Chausseebaumeister Schrötter (Chef) und seiner Familie einen Besuch zu machen. Chef war in der ganzen Masovia, Philisterium wie Aktiven, wegen seines biedern Charakters, seines unverwüstlichen Humors und steter Hilfsbereitschaft überaus beliebt und wenn er, was öfter geschah, in Geschäften [87] nach Königsberg und dann auch stets auf unsre Kneipe kam, herrschte stets großer Jubel. Natürlich hatte er also auch am letzten Stiftungsfeste mit Frau und Töchtern teilgenommen und eine hervorragende Rolle dabei gespielt.

Nach langen Jahren führte uns das Schicksal mit ihm hier in Hamburg zusammen, wohin seine Töchter geheiratet hatten und er infolgedessen ebenfalls mit seiner Gattin übergesiedelt war. Da haben wir beide denn manches Stündchen von der lieben alten Heimat und der schönen Vergangenheit geplaudert und dabei auch jener unserer Geniereise gedacht, zu deren würdigem Abschluß gerade er noch ein wesentliches Teil beitrug.

Damals in Hohenstein nämlich wurden wir drei „Landstreicher“ in seinem Hause als liebe Couleurbrüder herzlichst willkommen geheißen und von seiner Gattin freundlich zum Mittagessen eingeladen, und dabei eröffnete uns Chef, er hätte in diesen Tagen sowieso die Chaussee bis Soldau inspizieren müssen, würde uns also gleich heute mit seinem Fuhrwerk dorthin bringen. Das war ja eine gar lieblich klingende Kunde für uns, namentlich für Heinrich, der nur mit innerm Schrecken an die eigentlich nun geplante Fußwanderung dachte, während wiederum die Postreise unser ganzes, eben erst in unsern Besitz gelangtes Kapital verschlungen hätte. Statt dessen befanden wir uns unter diesen Umständen in der angenehmen Lage, unserm freundlichen Helfer in Pr. Holland sein Darlehn sofort statt erst von Soldau aus zurückzuerstatten. Dann fuhren wir also gleich nach dem Essen in Chefs bequemem Wagen vergnügt davon, in dem auch Happy sich offenbar sehr behaglich fühlte. Die Inspektion Chefs bestand außerdem eigentlich nur darin, daß er auf jedem der vielen an der Chaussee liegenden Güter, wo er überall befreundet war, Station

Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 86–87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/19&oldid=- (Version vom 17.9.2022)