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hatte aber nicht nur für alle Mitglieder derselben eine gleich große Anhänglichkeit, wie für ihren Herrn, sondern erstreckte dieselbe sogar auf alle Couleuren, die mit den Gothen in freundschaftlichen Beziehungen standen, und zu diesen gehörte damals auch unsre Masovia. So trieb die biedere Happy sich denn den ganzen Tag bis in die Nacht von einer Studentenkneipe zur andern umher, und wenn der letzte Zecher nächtlings das Lokal verließ, begleitete sie ihn vertrauensvoll in sein Heim, in dem sichern Bewußtsein, dort ein Nachtquartier zu finden. Auch bei uns in der Schumacherschen Kneipe war sie ein häufiger, und da sie sich stets sehr manierlich benahm, wohlgelittener Gast. Sie ist sogar auf dem Bilde verewigt, auf dem Warda und meine beiden Brüder sich in den Katertagen nach dem dreißigjährigen Stiftungsfeste aufnehmen ließen, und das doch wohl, wie früher auf dem Fechtboden, so jetzt im Corpshause hängt.

Auch am Abend vor unsrer Abreise von Königsberg hatte sie sich auf unsrer Kneipe eingefunden und dann einem von uns Dreien, ich weiß nicht mehr, wem, angeschlossen und bei ihm genächtigt, und als wir uns am andern Morgen zusammenfanden, um zum Elbinger Dampfer zu gehen, folgte sie uns auch dorthin, als ob sich das ganz von selbst verstände. Wir nahmen sie auch ohne Bedenken mit uns, da Burow gerne allen Ansprüchen als ihr Eigentümer längst entsagt hatte. So bestiegen wir denn alle vier, nur mit leichtem Handgepäck ausgerüstet, den Dampfer. Die Fahrt nach Elbing, begünstigt von schönstem Wetter, verlief höchst angenehm. Der Blick auf die sonnenbeglänzten Höhen der Haffufer, von wo aus uns im Vorüberfahren der wohlbekannte weiße Giebel der Klosterkirche von Cadinen grüßt, fesselte das Auge, und dazu kam eine zahlreiche, liebenswürdige [79] Reisegesellschaft von Damen und Herren, mit denen wir bald gemütlich verkehrten. Ich hatte einen Band des einstmals viel gelesenen, ebenso geist- als humorvollen „Demokritos, Aus den hinterlassenen Papieren eines lachenden Philosophen“ zu mir gesteckt, und als die Ufer allmählich einen weniger reizvollen Anblick boten, zog ich mein Buch aus der Tasche und las meinen beiden Genossen zur Unterhaltung daraus vor. Bald aber sammelte sich eine größere Korona um mich, die mit wachsendem Vergnügen meiner Vorlesung lauschte. So vergingen die Stunden schnell. Gegen Mittag langten wir in Elbing an, wo wir uns zunächst in irgend einem netten Lokal zu stärken beabsichtigten. Auf der Suche nach einem solchen stießen wir plötzlich auf eine Schar von Angehörigen der Burschenschaft Gothia. Wir wurden von ihnen freundschaftlichst begrüßt und – es waren meistens Elbinger – in ihre Stammkneipe geführt, wo sie es sich nicht nehmen ließen, uns gegenüber die nobeln Wirte zu spielen und ein Fäßchen auflegen zu lassen. So gestaltete sich unser Entree in Elbing gleich sehr gemütlich, und bald war der Stoff bis auf den letzten Tropfen vertilgt. Indes fühlten wir uns nun natürlich unsrerseits gedrungen, uns zu revanchieren und ebenfalls ein Fäßchen zu „ponieren“, wie der damals gebräuchliche Ausdruck lautete.

So zog sich unsre fröhliche Sitzung etwas in die Länge, bis wir uns, nachdem auch dieses zweite Fäßchen geleert war, wir auch ein konsistentes Frühstück zu uns genommen hatten, von unsern liebenswürdigen Gastfreunden verabschiedeten, um unsers Weges weiter zu ziehen.

Die Sache hatte aber für uns noch einen etwas bittern Nachgeschmack; denn unser nobles Auftreten hatte den größten Teil unsers Vermögens verschlungen, so daß der Blick in unsre Reisekasse eine bedenkliche

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 78–79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/15&oldid=- (Version vom 17.9.2022)