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kam unserm Grun eine großartige Idee, der die Kommilitonen jubelnd beistimmten. Ich wurde nicht viel gefragt, sondern in die Kajüte geschleppt, mußte mich dort über Hals über Kopf in mein Tänzerinnenkostüm werfen, und Grun vollendete krönend das schöne Ganze, indem er mir mit dem Schminkquast Lilien und Rosen auf die Wangen zauberte! In diesem Aufzuge erschien ich auch an seinem Arme auf der Landungsbrücke, wo mich die zahlreich versammelte Bewohnerschaft Pillaus mit brausenden Hurras empfing. Dann setzte sich die Musik an die Spitze, die Masuren folgten in geschlossenem Zuge, und so ging es bis auf den Markt, wo wir Halt machten. Die Kommilitonen schlossen einen Kreis um mich, die Musik intonierte eine passende Tanzweise, ich klapperte mit den Kastagnetten und schwenkte meine in fleischfarbene Trikots gehüllten Beine in den kühnsten und graziösesten Pas. Das Publikum raste vor Entzücken, und als ich geendet, stürzten einige Pillauer Herren auf mich zu, umarmten mich und führten mich nolens volens im Triumph in eine am Haffe gelegene Kneipe, die spätere „Ilskefalle“, wohin uns außer den Masuren noch andere Pillauer folgten, die mir begeisterte Ovationen – und Libationen darbrachten. So verstrich die Zeit schnell, die Signale des Dampfers mahnten zum Aufbruch, und wir mußten unsre liebenswürdigen Gastfreunde verlassen. Leider gestaltete sich mein Rückzug weniger ruhm- und glanzvoll als mein Einzug; denn die vorher so gelenken Beine der Sennora Pepita versagten jetzt den Dienst, und es bedurfte der Unterstützung kräftiger Arme, um sie sicher an Bord zu bringen. Dort ruhte ich dann auf meinen Lorbeeren, bis wir in den Königsberger Hafen einliefen.


[71] Ein Seitenstück zu diesem ruhmreichen Debut lieferte ich dann noch einmal bei Gelegenheit unsers dreißigjährigen Stiftungsfestes im Jahre 1860, das seiner Bedeutung entsprechend mit besonderm Glanz gefeiert wurde.

So fand der Kommers am 14. Juni im Park von Fuchshöfen statt, wohin wir mittags mit einem Dampfer hinausfuhren. Auch diesmal sollte das Fest durch eine dem Kommers vorangehende theatralische Aufführung verherrlicht werden, deren Arrangement wiederum mir übertragen wurde. Zu diesem Zweck setzte mir der Festleiter, der große Hugo Warda, das glänzende Betriebskapital von ganzen 5 (schreibe fünf) Talern aus. Doch ich wußte mich damit einzurichten und leistete als Impresario entsprechend Glänzendes. Zunächst verschaffte ich mir mit gnädiger Erlaubnis Direktor Woltersdorffs, an den ich mich persönlich wandte, aus der Theaterbibliothek ein wirksames Stück, das einen damals besonders aktuellen Stoff zum Gegenstande hatte und für den von mir gewünschten Zweck, ungeheure Heiterkeit hervorzurufen, ebenfalls sehr geeignet war. Zu jener Zeit nämlich erregten zwei italienische Künstlerinnen, die Geschwister Ferni, in allen europäischen Großstädten durch ihr in der Tat wundervolles Violinspiel sensationelles Aufsehen. So hatten sie auch in Königsberg im Frühling 1860 Triumphe gefeiert.

Da war nun ein findiger Berliner Possendichter auf den Einfall gekommen, sich dieses dankbaren Stoffes zu bemächtigen und ihn in einen burlesken Einakter zu verarbeiten, worin zwei verbummelte Musiker in einem hinterwäldlerischen Nest in weiblicher Maske erscheinen und den braven Spießern vorspiegeln, sie seien die berühmten Fernis. Es gelingt ihnen auch, die ganze Bewohnerschaft des Städtchens ins Konzertlokal zu ziehn, natürlich gegen ein extraordinäres

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 70–71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/11&oldid=- (Version vom 17.9.2022)