Seite:Arthur Schnitzler – Flucht in die Finsternis – 022.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

von unten bis oben. Seiner Gewohnheit nach blieb Robert ziemlich lange im Bad, dann, den rauhen, weißen Mantel um die Schulter geschlagen, trat er vor den Spiegel hin und fand sein bartloses, schmales Gesicht recht frisch, ja sogar für seine dreiundvierzig Jahre von ziemlich jugendlichem Aussehen. Schon wollte er sich befriedigt abwenden, als aus dem trüben Glas in rätselhafter Weise ein fremdes Auge ihn anzublicken schien. Er beugte sich vor und glaubte zu bemerken, daß das linke Lid tiefer herabsinke als das rechte. Er erschrak ein wenig, prüfte mit den Fingern nach, zwinkerte, preßte die Lider fest aneinander und öffnete sie wieder – doch der Unterschied gegenüber der rechten Seite blieb bestehen. Er kleidete sich rasch an, trat vor den großen Wandspiegel zwischen den beiden Fenstern, öffnete die Lider, so weit er vermochte, und mußte feststellen, daß das linke Lid seinem Willen nicht so rasch gehorchte wie das rechte. Doch das Auge selbst blickte klar, die Pupille antwortete dem Lichtreiz ohne Zögern; und da Robert sich überdies erinnerte, daß er die Nacht hindurch auf der linken Seite gelegen hatte, schien immerhin eine genügende Erklärung für die Schwäche des Lids gegeben. Trotzdem nahm sich Robert vor, morgen Doktor Leinbach oder Otto zu Rate zu ziehen oder, lieber noch, es darauf ankommen zu lassen, ob sein Bruder die Ungleichheit

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 022. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)