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Art in seiner dichtenden Phantasie. Aber die in ihr wachgerufenen Vorstellungen wurden, ein so besonderes Gepräge sie trugen, doch stark bedingt und bestimmt durch Bilder, die nicht aus unmittelbaren anschaulichen Eindrücken, sondern aus der Dichtung vergangener Zeit gewonnen waren. Einem Geist, der wie der Böcklinsche, die Einheit des Natürlichen und Menschlichen suchte, konnte nur die griechische oder die germanische Mythologie befriedigenden Vorstellungsstoff geben. Daß ihm, dem doch so germanischen Wesen, nicht die nordische Sage, die zu gleicher Zeit ihre wunderbare Auferstehung und höchste künstlerische Ausgestaltung in der Tragödie Richard Wagners fand, Quell der Inspiration ward, könnte befremden, läge die Erklärung nicht sehr nahe. Eben zur Zeit, als er sein Ideal sich zu bilden begann, vollzog sich ja erst in der Schöpfung des «Ring des Nibelungen» die Verdichtung des formlosen germanischen Mythos zur plastischen Klarheit, enthüllte sich aus dem Nebel unserer weit entrückten Vergangenheit Gott und Held als vollendetes Abbild unserer Natur. Dem nach dem Schönen sich sehnenden Maler hatte sich aber schon der strahlende unvergängliche Tag griechischen Sehergeistes erschlossen, und während er sich den Eindrücken der Natur hingab, fällte sich seine Einbildungskraft mit den Gestalten Homers. Die Dichtungen, in deren Nacherleben er, mehr als in allen anderen, sein ganzes Leben hindurch das tiefste Genüge gewonnen hat, sind die Ilias und die Odyssee gewesen. Hier fand seine Einbildungskraft die Nahrung, aber nicht in dem Sinne, welcher den antikisierenden Künstlern der älteren deutschen Generation vor ihm verhängnisvoll geworden war,

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Henry Thode: Arnold Böcklin (Gedenkworte). Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1905, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arnold_B%C3%B6cklin.pdf/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)